Mittelstandsforum – Verfallsdatum für Freiheits-Einschränkung

Kürzlich konnte man im Hof des ACUD Kunstvereins in Berlin-Mitte einen ungewöhnlichen Anblick genießen. Unter das übliche Publikum aus Hipstern, Existenzialisten und avantgardistischen Hutträgern, hatten sich an diesem Abend Anzugträger mit Trenchcoats und Paisley-Krawatten gemischt, die wichtige Telefonate führten und dabei vom Künstlervolk argwöhnisch beäugt wurden. Anlass für dieses Aufeinanderprallen der Kulturen war die Veranstaltung „Reformstau überwinden – Perspektiven für den Mittelstand nutzen“, zu der Stefan Friedrich, Leiter des Forums Mittelstand und Max Neumann von der Arbeitsgemeinschaft der Selbstständigen in der Berliner SPD eingeladen hatten.




In einem der Kinosäle des ACUD diskutierten an diesem Abend unter der Moderation von Dr. Christoph Eisenring, dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten der Neuen Züricher Zeitung, Christian von Stetten (CDU), Lisa Paus (B90/Grüne), Matthias Ilgen (SPD) und Henner Schmidt (FDP) über die großen Themen der deutschen Wirtschaftspolitik, von der Erbschaftssteuer über den Mindestlohn bis zum Bürokratieabbau. Hitzige Debatten waren allerdings nicht zu erwarten, da alle Diskutanten den wirtschaftsliberalen Flügel ihrer Partei vertraten.

Einmal König von Deutschland sein

Um grundlegende Positionen gleich zu Beginn zu klären, stellte Eisenring jedem Teilnehmer die Frage, welche Reformen er anstoßen würde, wenn er im Bundestag eine absolute Mehrheit hinter sich wüsste. Lisa Paus legte den Fokus ihrer Politik auf eine stärkere finanzielle Unterstützung der Energiewende und einen weiteren Ausbau des dualen Ausbildungssystems. Henner Schmidt wünschte, die Steuern zu senken, das Steuersystem zu vereinfachen und gleichzeitig den Bürokratieabbau voran zu treiben. Matthias Ilgen konzentrierte sich auf die problematische Einwanderungspolitik und forderte, Flüchtlinge stärker zu integrieren und Ausländer besser zu fördern. Der interessanteste Vorschlag kam jedoch von Christian von Stetten; dieser forderte Freiheitseinschränkungen und bürokratische Vorschriften mit einem Verfallsdatum zu belegen, sodass sich der Bundestag im Rhythmus von fünf Jahren mit deren Sinnhaftigkeit auseinandersetzen muss.

Nach diesem kleinen Ausbruch von Originalität waren die ideologischen Fronten beim Thema Erbschaftssteuer wieder klar verteilt. Paus und Ilgen beklagten die unterschiedlichen Höhen des Steuersatzes als ungerecht, da dadurch der Mittelstand sehr viel mehr Erbschaftssteuer zahle als Unternehmen. Schmidt und von Stetten standen einer Erhöhung der Steuer selbstredend sehr kritisch gegenüber und wollten lieber überhaupt keine Erbschaftssteuer erheben, als eine „verkorkste“, so Schmidt.

„Wenn Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlen, taugt das System nicht!“

Erst als Moderator Christoph Eisenring auf das deutsche Lohnniveau zu sprechen kam, bildeten sich wieder interessante, lagerübergreifende Allianzen. Von Stetten kritisierte das aus seiner Sicht bei viel zu niedrigen Einkommen Greifen des Spitzensteuersatzes und erntete mit dem Satz „Wenn Facharbeiter den Spitzensteuersatz zahlen, taugt das System nicht!“ viel Applaus. Er halte das Kirchhoff-Modell zwar für die beste, leider aber auch für die unrealistischste Lösung. Dafür erhielt er spontan Zustimmung von Lisa Paus, die die Regelung des Spitzensteuersatz ebenfalls als „ungerecht“ brandmarkte, allerdings aber die Höhe der Sozialabgaben als Hauptursache für das niedrige Lohnniveau betrachtete.

Die Rente ist sicher

Die Rente mit 63 sahen bemerkenswerterweise alle Podiumsteilnehmer äußerst kritisch. Matthias Ilgen sah den Weg zur sicheren Rente in Beitragserhöhungen und vermehrter Zuwanderung. Er forderte, dass nicht jeder mit 63 in Rente gehen dürfe, sondern dass man zwischen verschiedenen Berufen unterscheiden müsse. So könne ein Bundestagsabgeordneter problemlos noch mit 70 Jahren im Parlament sitzen, wohingegen man einem Bergarbeiter nicht zumuten könne, in so hohem Alter noch jeden Morgen in den Schacht zu gehen. Am deutlichsten wurde wiedereinmal Christian von Stetten, der die Rente mit 63 als „schlechtesten Beschluss seit 10 Jahren“ kritisierte und auch dafür wieder viel Beifall bekam.

 

Nils Kottmann, 21, ist freier Journalist und schreibt u.a. für die Jüdische Allgemeine und die Achse des Guten




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