Merkel in Ankara: Menschenrechte einfordern!

Vor dem Referendum in der Türkei wird Merkels Besuch von Erdogan und der gleichgeschalteten Presse als Unterstützung des Despoten instrumentalisiert werden. Selbst wenn Merkel dies nicht beabsichtigt - nimmt sie es billigend in Kauf.

Seit knapp zwei Wochen ist der neue US Präsident Trump im Amt. Und die tiefe Trump-Abneigung der westlichen Welt verwandelt sich rasend schnell in Widerstand. Die politische Speerspitze dieses Widerstandes scheint Deutschland zu sein. Vorneweg unsere Bundeskanzlerin. Auf ihr ruhen die Hoffnungen der freien Welt, nach dem diese ihren größten Beschützer – die USA – unter der Führung von Trump jetzt zu verlieren droht.

Zumindest wird uns das von den Medien suggeriert, und Trump liefert ihnen, benommen vom Übereifer, seine Wahlversprechen sofort einlösen zu wollen, auch jeden denkbaren Anlass. Angela Merkel hingegen scheint die Rolle der Retterin der westlichen Welt zu gefallen.

Trump hat verfügt, dass in den nächsten 90 Tagen keine Staatsbürger aus Syrien, Libyen, Somalia, dem Irak, den Jemen, den Sudan und Iran einreisen dürfen.  Unsere Kanzlerin hat sofort reagiert und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass „der notwendige und auch entschiedene Kampf gegen Terrorismus  in keiner Weise einen Generalverdacht gegen Menschen bestimmten Glaubens , in diesem Fall gegen Menschen muslimischen Glaubens, oder einer bestimmten Herkunft rechtfertigt.“

Einreiseverbote sind in der Türkei Alltag

Derartige Diskriminierungen kenne ich nur allzu gut. Das Erdogan-Regime hat faktisch ein Einreiseverbot gegen nahezu jeden Türkeistämmigen erteilt, der Erdogan und seine Politik hierzulande offen kritisiert. Dank Erdogan gehöre ich zu den Tausenden von Erdogan-kritischen türkeistämmigen Deutschen, die in den letzten Monaten mit Hilfe der gleichgeschalteten türkischen Medien zunächst zur Zielscheibe gemacht und schließlich von Erdogans Schergen in Deutschland denunziert worden sind.

Davon abgesehen gibt es seit Beginn der Säuberungen infolge des Putschversuches noch einen zweiten Weg, Erdogan-kritische, deutsche Staatsbürger an der Einreise in die Türkei zu hindern: Sie müssen mit ihrer sofortigen Verhaftung rechnen. Das läuft faktisch auf ein Einreiseverbot für viele Tausend Türkeistämmige hinaus.

Merkel darf nicht schweigen

Nun reist Angela Merkel diesen Donnerstag in diese Türkei, die ihre eigenen Staatsbürger und Deutsche gezielt ausgrenzt.  Die deutsche Bundeskanzlerin hat dabei ein ernsthaftes Problem – nein, eigentlich hat sie mehrere.

Erstens dürfte sie zur aktuellen Entwicklung in der Türkei nicht schweigen. Auf Grund unserer Geschichte wären wir Deutsche, gemessen auch an den selbst auferlegten humanistischen Ansprüchen unserer Kanzlerin, geradezu verpflichtet, gegen die Umwandlung der Türkei in eine „Präsidialdiktatur“ Erdogans unsere Stimme zu erheben. Doch genau das tut Merkel nicht – oder nur so verhalten, dass es niemand wahrnimmt. Das hat natürlich einen Grund: Das sogenannte Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Union.

Zweitens verlangt sie völlig zu Recht von ihren türkeistämmigen Staatsbürgern Loyalität – so geschehen nach den für die deutsche Öffentlichkeit schockierenden Pro-Erdogan-Demos in Deutschland. Im Gegenzug aber ist sie illoyal ausgerechnet gegenüber ihren Staatsbürgern, die sich aus tiefster Überzeugung für die freiheitlich-demokratischen Werte Deutschlands entschieden haben und sich nicht von einem Möchtegern-Sultan instrumentalisieren lassen wollen. Denn andernfalls müsste Merkel nicht nur medienwirksam Trumps jüngste Dekrete kritisieren, sondern eben auch die türkischen Einreiseverbote gegen deutsche Regimekritiker sowie die Politik Erdogans insgesamt thematisieren und angreifen.

Erdogan ist ein Gescheiterter

Man kommt in dieser Situation nicht umhin  zu fragen: Wie kann sich unsere Kanzlerin, die sich durch unsere Medien zur Retterin der freien Welt stilisieren lässt, mit diesem medialen Rückenwind allen Ernstes gleichzeitig gegen die politischen Führer beider Großmächte auflehnen? Merkel fährt nicht nur Konfrontationskurs gegenüber Putin, sondern auch Volldampf volle Konfrontation gegen Trump.  Deutschland führt derzeit einen medialen Zwei-Fronten-Krieg gegen zwei Großmächte. Das traut sich sonst niemand – und man könnte geneigt sein, dafür Respekt zu zollen. Gerade dann aber sollte man sich von den eigenen Medien nicht in den Größenwahn treiben lassen. Denn am Ende ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir zwischen allen Stühlen sitzen und von den Big Playern nicht mehr ernst genommen werden.

Aber ausgerechnet gegenüber einem Erdogan frisst man dann Kreide? Ist es tatsächlich so, dass derjenige, der seine Grenzen nicht zu schützen vermag, am Ende gezwungen ist, den Bock zum Gärtner zu machen und sich einem selbsternannten Sultan zu unterwerfen?

Erdogan ist schon heute ein Gescheiterter. Er ist mit seiner undurchdachten außenpolitischen Strategie  gescheitert. Er steuert sein innerlich gespaltenes Land in ein wirtschaftliches Desaster. Er stellt die territoriale Integrität der Türkei infrage.  Und er ist bereit, für seinen Größenwahn eigene Staatsbürger zu vernichten und seine jungen Männer in einem nicht zu gewinnenden Krieg in den Nachbarländern zu verheizen.

Erdogans Fanatismus ist in Deutschland angekommen

Und ausgerechnet gegenüber diesem Führer eines „failed states“, der wirtschaftlich und finanziell am Tropf der EU hängt, leistet man sich eine durch und durch unwürdige Appeasement-Politik? Verrät dafür sogar seine loyalen Staatsbürger, statt sich zu deren Schutz deutlich gegenüber dem Möchtegern-Sultan vom Bosporus und dessen Parteigängern zu positionieren? Dabei trifft es ja nicht nur die Kleinen, die Unbedeutenden. So wurde berichtet, dass Cem Özdemir, Vorsitzender einer im deutschen Bundestag vertretenen Partei, in seiner eigenen, deutschen Hauptstadt nicht mehr mit dem Taxi fahren kann, weil er von ultranationalistischen, türkischstämmigen Taxifahrern bedroht wird.

Der irrationale Fanatismus durchdringt längst auch Deutschland. Vom Bosporus schwappt Dank Erdogan eine ungute Mixtur aus türkischem Nationalismus und Islamisierung herüber nach Deutschland und nach Europa. Erdogan schafft mit seinem künstlichen Ethnozismus Fakten. Er führt die Türkei zurück in das neunzehnte Jahrhundert – und er schafft in Deutschland national-islamische Gegengesellschaften.

Die Türken nur nicht „provozieren“

Die deutsche Politik aber wirft sich in den Staub – nur um die Türken in Deutschland nicht zu „provozieren“. Eine gefährliche Strategie. Nicht nur die aus der türkischen Religionsbehörde gesteuerte Ditib ist dabei ein Einfallstor der rückwärtsgewandten Ideen aus der Türkei – trotzdem bleiben Konsequenzen aus.

Als Steffen Seibert am Montag auf die für Donnerstag geplante Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Türkei angesprochen wurde, reagierte der stets besonnen wirkende Regierungssprecher ansatzweise empört: Jeder Gedanke, so Seibert, dass diese Reise in einem Zusammenhang stehe mit dem bevorstehenden Referendum über die Verfassungsänderung in der Türkei, sei „absurd“. Also steht das die Türkei in eine Präsidialdiktatur verwandelnde, die aktuelle Situation dort bestimmende Thema nicht auf der Agenda? Was aber dann? Zwar wollte der Regierungssprecher vehement den Verdacht entkräften, dass der Erfolg des sogenannten Flüchtlingsabkommen von schönen Fernsehbildern der Kanzlerin mit dem türkischen Präsidenten abhänge. Doch der Besuch Merkels in Ankara kommt wieder einmal zur Unzeit, wenn er nicht dem Ziel dienen soll, die Türkei vor dem eingeschlagenen Weg in den Unrechtsstaat zu bewahren.

Merkels Besuch wird instrumentalisiert werden

Anfang April steht das entscheidende Referendum in der Türkei an, bei dem es um die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung geht. Ein Referendum, mit dem Erdogan die Türkei weg führen wird von Europa, weg von der Moderne und den Werten der Aufklärung. In dieser Situation wird der Besuch Merkels vom Erdogan-Regime und dessen gleichgeschalteter Presse einmal mehr als Unterstützung des Despoten instrumentalisiert werden. Selbst wenn Merkel dies nicht beabsichtigt – nimmt sie es billigend in Kauf.

Die türkische Öffentlichkeit versteht derartige Besuche als internationale Bestätigung der Politik Erdoğans – wie schon seinerzeit vor den Parlamentswahlen im November 2015, bei denen der Besuch der deutschen Kanzlerin unmittelbar vor der Wahl ebenfalls als Aufwertung der Partei des Präsidenten aufgefasst wurde. Seitdem fühlen sich die Kurden und andere religiöse wie ethnische Minderheiten wie Christen und Aleviten sowie die gesamte, gen Europa blickende Zivilgesellschaft der Türkei von Merkel verraten. Nun wiederholt sich diese Geschichte.

Deutschlands Zusammenhalt ist gefährdet

Der Besuch Merkels kommt aber auch aus innenpolitischen Gründen zur Unzeit. Denn durch Erdogans Netzwerke und die von ihm gesteuerten Auslandsorganisationen werden bewusst Gegengesellschaften gefördert. Hier wird gezielt der innere Zusammenhalt, der soziale Frieden und damit das friedliche Zusammenleben in Deutschland ernsthaft bedroht.

Gegen Trump ja, gegen Erdogan nein
Merkel beim Sultan – Ducken oder Tacheles?
Was ist das für ein fatales und falsches Signal, wenn unsere Kanzlerin genau zu einem Zeitpunkt in die Türkei reist, zu dem der Generalbundesanwalt gegen die aus Ankara gesteuerte DITIB wegen Spionage für das Erdogan-Regime ermittelt, Agenten des türkischen Geheimdienstes MIT, die kurdische Aktivisten ausspionieren, von der deutschen Polizei verhaftet werden und endlich auch effektiv Durchsuchungsaktionen bei gewaltbereiten, türkisch-nationalistischen Rockervereinigungen stattfinden, die in Deutschland  Andersdenkende einschüchtern sollen? Wie kann man gerade in einer Zeit, in der Erdogan sowohl die Flüchtlinge als auch seine Landsleute gegen uns als Waffe benutzt und damit die Sicherheit unseres Landes in große Gefahr bringt, den Schulterschluss mit ihm suchen?

Vertreter der Opposition treffen!

Die Kurdische Gemeinde Deutschlands appelliert deshalb auch im Namen der mehr als 1,2 Millionen in Deutschland lebenden Bürger mit kurdischen Wurzeln an die Bundeskanzlerin, sowohl hinter als auch vor den Kulissen die katastrophale Lage der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und die Bedrohung der türkischen Demokratie deutlich zu benennen, um zu verhindern, dass Ihr Treffen als Erfolg von Präsident Erdogan vermarktet werden kann. Die Kurden erwarten auch, dass das Thema Einreiseverbot und illegale Haftandrohung für viele Regimekritiker und Oppositionelle im Ausland ebenso deutlich angesprochen wird wie angebliche Verfehlungen des US-Präsidenten.

Es wäre ein positives Signal für die um ihren Bestand kämpfende Zivilgesellschaft der Türkei und die bedrohten religiösen und ethnischen Minderheiten, wenn die Bundeskanzlerin bei ihrem Besuch am Donnerstag auch Vertreter der kurdischen Parteien sowie Angehörige der inhaftierten Parlamentarier und Regimekritiker träfe. In der Türkei werden Menschenrechte massiv gebrochen, Staatsbürger willkürlich entlassen und unter Scheinanklagen eingekerkert. Das sind die Themen, die ein deutscher Bundeskanzler zur Sprache bringen muss, wen er ein solches Land bereist!

Die Deutschen wollen an ihrer Spitze jemanden sehen, der überall – gegenüber Trump ebenso wie gegenüber Erdogan – selbstbewusst die Werte vertritt, für die Deutschland steht. Nicht jemanden, der selektiv im vorgeblichen Mainstream den einen verdammt und sich dem anderen unterwirft.

Ali Ertan Toprak wurde 1969 in Ankara geboren und kam im Alter von zwei Jahren nach Hamburg. Der Politikberater und Erdogan-Kritiker ist Mitglied der CDU und Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland.

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