Die AfD verändert die politische Landschaft Deutschlands

Wolfgang Gibowski, der lange Jahre Bundeskanzler Helmut Kohl insbesondere in demoskopischen Fragen beraten hat, hält eine grundlegende Veränderung der Parteienlandschaft für möglich.

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Wenige Tage vor den drei Landtagswahlen am 13. März 2016 ist deren politischer Ausgang offener als lange Zeit vorstellbar.

In Baden-Württemberg ist die CDU angetreten, um den politischen „Unfall“ von 2011 zu korrigieren. Damals konnten die im Südweststaat strukturell starken Grünen, auch in der Folge des Unglücks von Fukushima, ihr Ergebnis verdoppeln und mit der SPD als Juniorpartner die seit 1953 regierende CDU in die Opposition schicken. Allerdings hat die CDU das Handicap, dass der grüne Ministerpräsident Kretschmann, der im Land sehr beliebt ist, auch von den Anhängern der CDU mehr geschätzt wird als der eigene Spitzenkandidat Guido Wolf.

In Rheinland-Pfalz macht sich die CDU unter Führung von Julia Klöckner auf Grund der guten Umfragewerte 2015 berechtigte Hoffnungen, die SPD als Mehrheitspartei wieder zu überholen, um den Ministerpräsidenten zu stellen. Nach dem durch parteiinterne Querelen erzwungenen Abgang von Bernhard Vogel (1988) hatte die SPD bei Landtagswahlen stets besser abgeschnitten als die CDU.

In Sachsen-Anhalt will die CDU ihre Mehrheitsposition verteidigen und mit Ministerpräsident Haseloff weiterregieren.

Bei allen drei Landtagswahlen haben sich die Chancen der CDU und ihrer Spitzenleute, ihre Wahlziele zu erreichen, in den letzten Wochen ziemlich eingetrübt. Die im Unionslager kontrovers geführte Diskussion über eine Begrenzung des Zustroms von Flüchtlingen schadet dem Ansehen der Partei erheblich. Die Vorfälle in der Silvesternacht in Köln und anderen Städten schienen die Ängste und Vorbehalte großer Teile der Bevölkerung gegen Flüchtlinge und Asylsuchende zu bestätigen. Erst seitdem sind die bundesweiten Umfragewerte der Unionsparteien von meist über 40% auf 35% zurückgegangen mit kleinen Schwankungen um diesen Wert. Nutznießer ist vor allem die AfD, die die Ängste derjenigen aufnimmt, für die es schon zu viele Flüchtlinge in Deutschland gibt, die befürchten, unsere Gesellschaft werde durch diese Herausforderung überfordert und Angst vor steigender Kriminalität haben.

Bundesweit liegt die AfD in den jüngsten Politbarometer-Befragungen der Forschungsgruppe Wahlen bei knapp 10%, wobei die Partei in den westlichen Bundesländern mit etwa 8% weniger Zuspruch hat als in den neuen Ländern, wo sie auf Werte um 17% kommt, fast gleichauf mit SPD und Linkspartei.

„Das große Wasser nimmt das Kleine mit“ hat Helmut Kohl einmal treffend den Einfluss der bundespolitischen Stimmung auf die Bundesländer beschrieben. Die bundesweite Verschlechterung der politischen Stimmung der Unionsparteien wirkt sich auch auf die Länderebene aus. Die dafür ursächliche und andauernde Diskussion über die Begrenzung des Zustroms der Flüchtlinge spielt der AfD in den Lauf. Die AfD  wird – und daran kann es wenige Tage vor der Wahl keine Zweifel geben – in alle drei Landtage einziehen. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz notiert die AfD bei 10% oder leicht darüber, in Sachsen-Anhalt mit 17% vor der SPD, die auf 14% kommt (Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom 04.03.2016 in den drei Ländern).

Der gleichzeitige Rückgang der CDU vor allem in Baden-Württemberg, wo die CDU nun hinter den Grünen liegt, und Rheinland-Pfalz, wo der Vorsprung der CDU vor der SPD auf einen Prozentpunkt geschmolzen ist, lässt dort die Wahlziele der Partei wieder die Ministerpräsidenten zu stellen, als unrealistisch erscheinen. Über mögliche Ampelkoalitionen von drei Parteien darf ab sofort spekuliert werden.In Sachsen-Anhalt ist dagegen die  Fortsetzung der bisherigen CDU-SPD-Koalition naheliegend.

Die AfD, die als einzige Partei die weitere Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt, ist damit zu einer relevanten Größe im derzeitigen Parteiensystem geworden. Die bis jetzt möglichen Analysen der AfD-Anhänger zeigen den Zulauf für die Partei aus allen politischen Richtungen, besonders aber zu Lasten der CDU und in den neuen Ländern auch auf Kosten der Linken.

Die demografische Betrachtung der AfD zeigt unter ihren Anhängern etwas mehr Männer als Frauen, wobei bei beiden Geschlechtern die Jahrgänge zwischen 35 und 59 Jahren besonders häufig vertreten sind. Die Anhänger der AfD sind überwiegend berufstätig mit Schwerpunkten unter Arbeitern und Selbständigen.

Mit der Politik der Bundesregierung sind die Anhänger der AfD überhaupt nicht zufrieden, was besonders für die Flüchtlingspolitik und vor allem auch die Wahrnehmung der Bundeskanzlerin gilt. Während über 60% aller Befragten (Politbarometer Februar 2016) die Arbeit der Bundesregierung alles in allem gesehen eher gut finden – darunter sind auch immerhin über 40% der Anhänger der Linken und zwei Drittel der Grünen – bewerten 84% der AfD-Anhänger die Arbeit der Bundesregierung als eher schlecht. Vergleichbares gilt auch für die Bewertung der Arbeit der Bundeskanzlerin. Zudem werden in keiner politischen Gruppierung Bundeskanzlerin Merkel und Vizekanzler Gabriel so negativ bewertet wie von den Anhängern der AfD. Dagegen geben sie dem innerparteilichen Widersacher Merkels, Horst Seehofer, weitaus bessere Noten als die Anhänger der Unionsparteien.

Für fast alle Befragten ist der Zustrom von Flüchtlingen und Asylsuchenden das wichtigste politische Thema. Alle anderen Themen verblassen dagegen. Bei der Beurteilung der Auswirkungen dieses Themas grenzen sich die Anhänger der AfD jedoch sehr deutlich von den Anhängern der anderen Parteien ab. Während von allen Befragten 57% befürchten, Deutschland könne den Zustrom der vielen Flüchtlinge nicht bewältigen, meinen dies von den AfD-Anhängern 93%.

Grenzzentren, die eine rasche Abweisung unberechtigter Asylsuchender ermöglichen sollen, werden von zwei Dritteln der Bevölkerung gewünscht, unter den AfD-Anhängern sind es über 80%. Große Probleme mit Flüchtlingen in ihrer Wohngegend geben 15% aller Befragten an; von Anhängern der AfD sagen das 41%. Zwei von drei Befragten befürchten ein Ansteigen der Kriminalität als Folge des Zustroms von Flüchtlingen; unter den AfD-Anhängern sind es 98%, also praktisch jeder. 30% aller Befragten sagen, sie haben Angst vor Kriminalität durch Flüchtlinge. Von den Anhängern der AfD sagen das fast 70%.

Auch wenn es darum geht, wie zufrieden man mit dem politischen System in Deutschland ist, unterscheiden sich die Anhänger der AfD signifikant von den Anhängern der anderen Parteien. Fast zwei Drittel aller Befragten sind mit der Demokratie in Deutschland zufrieden. Dagegen sind unter den AfD-Anhängern über zwei Drittel mit der Demokratie unzufrieden, das sind mehr als in jeder anderen politischen Gruppierung (Politbarometer Januar 2016).

Wenn es um die Flüchtlingsthematik geht, wirken die Anhänger der AfD in sich geschlossener und stringenter als die Anhänger der anderen Parteien. Damit erklärt sich auch, warum sie alle anderen Parteien – mit Ausnahme der CSU – so entschieden ablehnen.

Man muss sich stets in Erinnerung rufen, dass mit Umfragen, auch wenn diese zeitlich sehr nahe an einem Wahltag durchgeführt werden, immer nur Meinungen, bestenfalls Einstellungen gemessen werden können, niemals aber Verhalten. Ob sich die in den Umfragen gemessenen Parteianteile der AfD an der Wahlurne bestätigen,  bleibt abzuwarten. Immer mehr Wähler sind potentiell wechselbereit und entscheiden spät, manchmal erst auf dem Weg zum Wahllokal, für welche Partei sie stimmen. Daher kann sich in den letzten Tagen vor einer Wahl noch einiges verändern. Erreicht die AfD aber an der Wahlurne die Größenordnung ihrer Umfragewerte, dann wird dies die politische Landschaft in Deutschland ganz erheblich verändern.

Wolfgang G. Gibowski ist einer der Gründer der Forschungsgruppe Wahlen,  wissenschaftlicher Leiter der Wahlforschung des ZDF. Als stellvertretender Chef des Bundespresseamts unter Helmut Kohl galt er in den USA als „Kohls pollster“.  Danach war er Staatssekretär in der Niedersächsischen Staatskanzlei und Bevollmächtigter des Landes Niedersachsen beim Bund.

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