Deutschland, Islam, Grundgesetz: Wie die Gleichung aufgeht

Es gilt ein Dreiebenenmodell: Bei den Grundwerten Assimilation, im täglichen Zusammenleben Integration, bei den persönlichen Vorlieben Multikulti. Wie wir das genau abgrenzen - diese Diskussion lohnt wirklich und führt uns auch weiter! Ein Gastbeitrag von Kristina Schröder.

Mitglied des Innenausschusses wurde ich 2003, was sich für mich als doppelter Glücksgriff herausstellte: Zum einen lernte ich dort den schleswig-holsteinischen Bundestagsabgeordneten Dr. Ole Schröder näher kennen und, nun ja, schätzen. Zum anderen fing ich an, mich intensiv mit einem Thema zu befassen, das mich bis heute nicht los lässt: mit dem Islam. Vielmehr eigentlich: mit der gesellschaftspolitischen Herausforderung, die es bedeutet, dass mehrere Millionen Menschen in Deutschland Muslime sind. Und so erlebte ich meine ersten Foren des interkulturellen Dialogs, in denen die größte Sorge meist die vor dem Vorwurf der Islamophobie war, meine ersten Begegnungen mit muslimischen Verbänden, bei denen man stets genau hingucken sollte, mit wem man spricht, und meinen ersten Personenschutz, nachdem ich von der islamistischen türkischen Zeitschrift Vakit auf der Titelseite bedroht wurde.

Ich lernte mit der Autorin Necla Kelec, Ali Ertan Toprak, damals Generalsekretär der Alevitischen Gemeinde Deutschlands, und Johannes Kandel von der Friedrich Ebert-Stiftung ebenso unerschrockene wie kluge Verbündete kennen und gewann einen Prozess gegen Ibrahim El-Zayat, langjähriger Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), den ich seitdem weiter als „Funktionär der Muslimbruderschaft“ bezeichnen darf.

„Das hat nichts mit dem Islam zu tun“ – ich glaube, dass kaum ein Satz aus dem Mund eines Politikers die Menschen nach einem islamistischen Anschlag wütender macht (und im Zweifel in die Arme der AfD treibt). Meine folgenden zehn Thesen zum Islam sind daher vor allem ein Plädoyer für Offenheit und Präzision in dieser entscheidenden gesellschaftspolitischen Debatte.

1. Islam ist das, was die Muslime draus machen. „Islam bedeutet Frieden“, werden wir in so manchem Forum des interkulturellen Dialogs belehrt. „Islam bedeutet Krieg“, ist man sich in rechtsradikalen Parteien und Netzwerken sicher. Alles Quatsch. Wie bei jeder anderen Religion auch gibt es keinen objektiv feststehenden Wesensgehalt eines Glaubens. Sondern er wird gelebt und damit auch immer wieder neu interpretiert von Menschen, die sich selbst als Anhänger dieses Glaubens definieren. Rein empirisch betrachtet stellen wir fest: Viele Muslime leben ihren Glauben so, dass er mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Viele Muslime interpretieren ihre Religion aber auch so, dass es ein echtes Problem gibt. Und diese problematische Gruppe ist aktuell weltweit unter den Muslimen wesentlich größer als unter den Christen oder den Anhängern anderer Religionen.

2. Terror ist kein Missbrauch des Islams, sondern eine Interpretation. Insofern ist es auch albern, nach einem Terroranschlag zu beteuern, dieser habe „nichts mit dem Islam zu tun“ oder sei „ein Missbrauch des Islams“. Wenn ein Imam das sagt, habe ich noch Verständnis. Es ist die Aufgabe eines Imams, seinen Glauben zu verkünden und damit notwendigerweise immer auch eine bestimme Interpretation dieses Glaubens. Als Staat aber müssen wir leidenschaftslos feststellen: Der säkulare Kemalist hält sich für einen wahren Muslim – der Terrorist auch. Wir werden von staatlicher Seite nicht ex cathedra feststellen können, was denn nun der wahre Islam ist.

3. Der Islam hat sich noch nicht aufgeklärt. Das ist der Kern des Problems. Auch die Geschichte des Christentums ist blutig. Aber seit der Reformation und der Aufklärung entwickelte sich Schritt für Schritt eine Interpretation des Glaubens, die mit den sich gleichzeitig herausbildenden demokratisch und rechtsstaatlich verfassten Staatswesen komplementär harmonierte und sich gegenseitig befruchtete. Jesus’ Diktum „So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“ hat dazu vermutlich beigetragen. Diese Entwicklung fehlt, abgesehen von einigen zarten Pflänzlein, insbesondere im Alevitentum, im Islam bis heute.

4. Ein universeller Geltungsanspruch der Scharia ist nicht mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar. Wie der Glaube, ist natürlich auch die Scharia, das religiöse Gesetz des Islams, Interpretationssache. Ich beteilige mich an keiner Deutung irgendwelcher Suren, das ist nicht mein Fachgebiet. Als Staat müssen wir die Abgrenzung auf Basis unseres Regelwerks vornehmen: Unsere Gesetze, insbesondere unsere Grundwerte, brechen die Scharia. Immer und ohne jeglichen kulturellen Rabatt. Ob das konkret der Fall ist, entscheiden unsere Gerichte.

5. Das muslimische Verständnis von männlicher Ehre ist auch mit Gewalt verknüpft. Es gibt in muslimisch geprägten Ländern eine starke Vorstellung von männlicher Ehre (und damit direkt verbunden auch von weiblicher Ehre!), die auch mit Gewalt verknüpft ist. „Gewaltlegitimierende Männlichkeitsnormen“ nennt diese Vorstellung der Kriminologe Christian Pfeiffer und hat ihre Geltung recht gut nachgewiesen. Auch Alice Schwarzer hat in diesem Punkt immer glasklar argumentiert und damit die bestürzende Naivität der #Ausnahmslos-Unterstützerinnen noch deutlicher gemacht. Ich glaube, dass diese höhere Neigung zu Gewalt der Punkt ist, der den Menschen in der Flüchtlingskrise die meisten Sorgen bereitet hat und bereitet. Mir geht es genau so. Situationen in S-Bahn-Stationen wie letzten Monat, als eine Gruppe offenkundig nicht deutschstämmiger junger Männer sich lautstark und aggressiv austauschte und auch Unbeteiligte anpöbelte, als ich meine große Tochter hektisch ermahnte, leise zu sein, meine kleine Tochter auf den Arm nahm und verstohlen den Abstand zur Rolltreppe taxierte, solche Situationen kennt fast jeder. Dass sie mehr werden, in unseren S- und U-Bahnhöfen, in den Innenstädten und auf den Pausenhöfen, das ist auch meine große Sorge.

(Aussagen über statistische Häufungen sind keine Pauschalurteile. An dieser Stelle muß eine statistische Banalität betont werden: Wenn ich zum Beispiel sage, dass junge Männer häufiger gewalttätig werden als ältere Damen, fälle ich damit kein Pauschalurteil über junge Männer. Und natürlich sage ich damit erst recht nicht, dass alle jungen Männer gewalttätig sind. Sondern ich treffe schlicht eine empirisch gestützte Aussage über Häufigkeiten in zufällig ausgewählten Stichproben von 100 jungen Männern und von 100 älteren Damen. So selbstverständlich, so einfach. Aber der Vorwurf, ich fällte mit meinen Aussagen in Punkt 5. Pauschalurteile, wird zu 100% kommen.)

Zwischenfazit: Christen lassen sich in Deutschland leichter integrieren als Muslime. Das folgt aus den Punkten drei, vier und fünf. Und man sollte es schlicht mal so benennen.

6. Kopftuch und Burka sind Banner des Islamismus. Natürlich habe auch ich schon die akademisch gebildeten und rhetorisch versierten Muslimas erlebt, die mir erklärten, dass sie das Kopftuch aus völlig freien Stücken trügen, dass es gar Ausdruck ihrer feministischen Haltung sei. Ganz ehrlich: Vielen dieser Frauen habe ich das geglaubt. Es kam authentisch rüber und warum sollen sie das nicht subjektiv so empfinden. Bloß: Diese innere Haltung ändert nichts daran, dass diese Frauen objektiv das Banner des radikalen Islams auf ihrem Kopf tragen. Denn genau diese Bedeutung hat das Kopftuch und erst recht die Burka weltweit. Wenn irgendwo islamistische Despotien entstehen, ist es meist der erste Schritt der neuen Machthaber, die Frauen zu verhüllen. Und nach der Befreiung reißen sich die Frauen oft als erstes ihre Hidschabs, Nikabs oder Burkas vom Leib, wie wir jüngst nach der Befreiung der nordsyrischen Stadt Manbidsch vom IS wieder in bewegenden Bildern verfolgen konnte. Wer in einem freien Land wie Deutschland diese Banner eines radikalen Islams trägt, macht damit eine politische Aussage, ob er will oder nicht. Daher ist das Verbot des Kopftuchs im Staatsdienst richtig und daher sollten wir die noch wesentlich menschenverachtendere Burka in Deutschland auch, soweit es unsere Verfassung nur irgendwie zulässt, verbieten.

7. Die Einschüchterung durch den Terror funktioniert. Das ist eine bittere Tatsache. Auch ich beteure nach Anschlägen gerne wacker, dass wir unsere Lebensweise nicht verändern werden. Ich fürchte allerdings, dass wir uns da etwas vormachen. Ich sehe praktisch keine Mohammed-Karikaturen mehr. Und ich verstehe jeden so gut, der davor zurückschreckt. Nachdem ich 2004 von der islamistischen Zeitung Vakit auf der Titelseite bedroht wurde, weil ich sie wegen übelster antisemitischer Hetzte angezeigt hatte, habe ich mein Verhalten auch definitiv geändert: Ich habe danach in Interviews meine Worte noch mehr abgewogen, immer auch mit dem Gedanken im Hinterkopf, ob ich meiner Familie, damals insbesondere meinen Eltern, eine weitere Bedrohungssituation zumuten kann. Wenn wir diesen üblen, aber menschlichen Mechanismus nicht akzeptieren wollen – und das wollen wir hoffentlich nicht! -, wenn wir unser Lebensweise erhalten wollen, dann gibt es nur einen Weg: Den Terror mit allen Mitteln bekämpfen, und zwar deutlich mutiger und konsequenter als bisher, national und international.

8. Integration bedeutet auch Assimilation. „Integration bedeutet nicht Assimilation“, noch so ein Mantra aus der Integrationsdebatte, das so schlicht falsch ist. Wenn Menschen sich in eine Gruppe integrieren, verändert sich auch die Gruppe, es entsteht etwas neues. Der gesamte Bereich unserer Wirtschaft, unserer Unternehmen und Arbeitswelt, auch unseres täglichen Zusammenlebens wird ein anderer, wenn Hunderttausende zuwandern. Im Bereich unserer Grundwerte hingegen, bei den fundamentalen Prinzipien unsers Gemeinwesens, wollen wir nichts Neues. Hier verlangen wir schlicht Anpassung, Assimilation. Auf der Ebene persönlicher Vorlieben wiederum, insbesondere der Religion, ist sogar – horribile dictu! – Raum für Multikulti. Es gilt also ein Dreiebenenmodell: Bei den Grundwerten Assimilation, im täglichen Zusammenleben Integration, bei den persönlichen Vorlieben Multikulti. Wie wir das genau abgrenzen – diese Diskussion lohnt wirklich und führt uns auch weiter!

9. Die Ditib muss sich von Ankara lossagen. Die deutsche „Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“ (Ditib) wird von der türkischen Religionsbehörde in Ankara, Diyanet, kontrolliert und ist damit Weisungsempfänger der türkischen Regierung. Der Vorsitzende der Ditib ist gleichzeitig Botschaftsrat der TürkeI. Imame der rund 900 Ditib-Moscheen werden von dem Diyanet ausgewählt und für meist vier Jahre nach Deutschland entsandt, sie empfangen ihre Vorgaben für die Freitagspredigten aus Ankara. Unter diesen Umständen kann sich kein unabhängiger eigenständiger Islam in Deutschland entwickeln. Ich habe bei der Ditib durchaus die Hoffnung, dass sich aus ihr mal eine Organisation entwickelt, die einen säkularen und verfassungstreuen Islam in Deutschland bündelt. Aber dafür müsste sie sich radikal von Ankara lossagen. Im Gegenzug müsste der deutsche Staat ihr dann auch die Möglichkeit geben, von deutschen Muslimen finanzielle Mittel einzutreiben, um in Deutschland ausgebildete Imame einstellen zu können.

10. Wir brauchen einen aufgeklärten Islam. Bassam Tibi forderte bereits Anfang der 90er Jahre einen säkularen und aufgeklärten Euro-Islam. Es ist leicht, Tibis Idee als utopisch abzuqualifizieren. Bloß: Wir haben keine andere Chance! Zumindest keine, die ohne einen Clash of Civilizations mitten in unseren Städten Europas auskommt. Was mir Mut macht: Viele deutsche Muslime würden sich vielleicht nicht selbst als aufgeklärte Muslime bezeichnen, aber sie leben de facto genau das: Einen säkularen Islam, der sich in unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung einfügt. An den in den letzten Jahren neu geschaffenen Lehrstühlen für islamische Theologie, z.B. in Münster, entstehen Deutungen, an die ein solcher säkularer Islam anknüpfen kann. Ob aus solchen Anfängen eine starke Bewegung wird? Zumindest scheint mir eines ganz praktisch klar zu sein: Nur mit solch einem aufgeklärterem Islam lässt es sich überhaupt erfolgreich in freiheitlichen Gesellschaften leben. Nicht nur wir Nicht-Muslime haben also keine anderen Chance als den Euro-Islam. Das gilt für alle Muslime in Europa mindestens genauso.

BerndZeller_Buch

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Kommentare ( 1 )

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Schokominza
6 Jahre her

Liebe Frau Schröder, auch wenn ich nicht in allen Punkten zustimmen würde, ibs. was die Frage bzw. die Symbolik des Kopftuchs angeht, ein durchaus interessanter und abgewogener Artikel. Damit heben sie sich doch recht deutlich von dem …….. üblichen Islambashing-Jargon ab – fragt sich nur, weshalb sie überhaupt in diesem Umfeld publizieren. naja, sie werden es schon wissen.