Burqa und Niqab entäußern Frauen ihrer Identität

Im Ganzkörperschleier wird die Frau ohne Licht und Luft eingeschlossen, er bildet das Pendant zum Haus als Gefängnis. Ein Beitrag von Barbara Köster.

Mode jedoch ist Spiel und Neuerung. Islamische Kleidung als Ausdruck der Religiosität dagegen beansprucht überzeitliche Gültigkeit und ist nicht dazu gedacht, ein spontanes Lebensgefühl auszudrücken, das man irgendwann hinter sich lässt oder das sich von selbst auflöst. Neuerungen sind unerwünscht, weil sie Unordnung, fitna, das oberste Schreckgespenst einer islamischen Verfassung, verursachen können, wie schon das Beispiel des jungen Mannes zeigt, der zwischen Empörung und Begierde hin- und hergerissen war.

Mode ist Körpergestaltung – also verboten

Für fromme Muslime – und darin sind sie sich mit vielen westlichen Modeverächtern einig – ist Mode zudem unnütz. Unnütze Dinge sind im Islam verpönt. Aber weil das Schönseinwollen als Frauensache betrachtet wird und Frauen von Natur aus schwach sind, ist man hier milde gestimmt. So wie die Puppe für das kleine Mädchen eine Ausnahme vom Verbot des Statuenmachens ist, so gesteht man Frauen eine größere Auswahl an Materialien zu, zum Beispiel Seide, die für Männer verboten ist. Variationen von Farben und Materialien beim Kopftuch sind aber nur Variationen einer dauerhaften Form und Funktion. Varianten begründen keine Mode. Auch bei Priestergewändern gibt es immer wieder neue Muster und Dekore. Mode will und kann viel mehr. Sie erfindet den Körper und ist damit dem Bildhauer vergleichbar. Sie formt den Menschen immer wieder neu. Aus einem flachen Stück Stoff wird ein räumliches Gebilde. Mode ist Arbeit am dreidimensionalen Körper, und damit geht sie zu weit, denn den Menschen zu gestalten, ist im Islam allein Allah vorbehalten.

Als Funktion von Bekleidung gilt im Islam die Bedeckung, die schamhafte Verhüllung. Mode hat dagegen die Funktion, zu bedecken, schon längst hinter sich gelassen. Dies ist nur noch ein Nebeneffekt. Mode ist längst Selbstzweck wie Kunst, Musik und Sport, und wohl nicht zufällig tut sich auch mit diesem Dreigespann die islamische Tradition schwer. Im Islam kann nichts Selbstzweck sein. Alles geschieht zur Ehre Allahs. Das Kopftuch ist eine Übung in Gehorsam und Disziplin. Der festgezurrte Kopf erzieht zur Demut. So wie sich bald als Wurm fühlt, wer sich fünfmal am Tag zu Boden wirft. Die damit einhergehende Kränkung wird zur Auszeichnung umgedeutet.

Im Englischen gibt es die Redewendung: Wir können jetzt unsere Haare herunterlassen, was bedeutet: Wir können jetzt sagen, was wir wirklich meinen. Offene Haare und offene Sprache gehören zusammen. Gelöstes Haar ist Vorbedingung für Freiheit. Das Kopftuch steht für Zurückhaltung der eigenen Person. Die muslimische, nicht die persönliche Identität wird unübersehbar vor Augen geführt.

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Mode ist der Ausdruck von Individualität und Privatheit und entwickelt sich im Zuge der Entfaltung dieser Eigenschaften in einer Gesellschaft. Vor der Mode herrschten Kleiderordnungen, die jedem nach seiner Stellung die erlaubten Stoffe und Farben zuwiesen. Bei der Festlegung des geschlechtsspezifisch Gebotenen ist die islamische Kleidung heute noch auf dem Stand der Vormoderne. Wer gerade im Kopftuch einer Muslimin ein Zeichen der individuellen Identitätsfindung sehen will, irrt. Damit wird eine moderne westliche Kategorie an die islamische Kultur angelegt, die die Ausbildung einer individuellen Identität gar nicht vorsieht. Die Frau soll keine autonome Persönlichkeit werden, sondern sich der muslimischen Gemeinschaft unterordnen. Genau dies bezweckt das Kopftuch. In diese Falle ging auch das Bundesverfassungsgericht. Der Beschluss zum Kopftuch vom 13. März 2015 könnte sich zu einem machtvollen Instrument in den Händen der Antimodernisten und der Antiindividualisten erweisen. Sie schlagen den Rechtsstaat mit dessen eigenen Mitteln.

Was der Rechtsstaat braucht: negative Kopftuchfreiheit

Das „Recht“, ein Kopftuch zu tragen, hat eine Frau nur aus der Sicht des liberalen Rechtsstaates. Diese Sicht ist für islamische Agitatoren aber völlig unerheblich. Für sie gilt nur die muslimische Sichtweise der Umma, der Gemeinschaft der Gläubigen, und aus dieser Perspektive ist es die Pflicht der Frau, ein Kopftuch zu tragen. Sie benutzen liberale Prinzipien, um ihre Pläne durchzusetzen. Der liberale Rechtsstaat sollte islamische Wortführer einmal mit dem Recht der Frau konfrontieren, kein Kopftuch zu tragen, (sozusagen negative Kopftuchfreiheit). Die Grenzen der vermeintlichen islamischen Liberalität wären vermutlich schnell erreicht. Muslimische Agitatoren wechseln kurz die Seite, um ihr Anliegen in westlicher Sprachverbrämung vorzubringen. In Wirklichkeit verfolgen sie das Ziel ihrer Seite: Frauen das Kopftuch aufzunötigen.

Das Kopftuch nur ästhetisch wahrzunehmen, ist für westliche Gesellschaften entlastend. Formal ist dann alles geklärt. Mit dem Gemeinplatz  „Geschmackssache“ vermeidet man eine genaue Betrachtung und entzieht sich der Zumutung, ein begründetes Urteil abgeben zu müssen.

Fast wie zum Beweis der Richtigkeit dieser Einstellung gehen viele Musliminnen jetzt auch zu anderen Kopfbedeckungen über. So zum Beispiel Mona, Lehrerin aus Kairo, die zu einem Sommerkurs nach Deutschland kam. Sie hatte sich überlegt, dass das Kopftuch sie in ihrer Arbeitsgruppe isolieren würde. Also verbarg sie das festgesteckte Haar unter einer pfiffigen Ballonkappe, mit der sie aussah wie Barbra Streisand in „Yentl“, und wickelte sich einen Baumwollschal um den Hals. Diese beiden Kleidungsstücke legte sie niemals ab, solange ein Mann anwesend war. Andere Frauen und auch Männer in der Gruppe setzten nun ebenfalls Kappen auf und trugen einen Schal, und alle scherzten: Guckt mal, Mona macht Mode! Mona lachte glücklich: Ja, ich bin ein Trendsetter. Aber es war tatsächlich nur ein Scherz. Ein Missverständnis, wie Mona wusste. Sie war froh und erleichtert, dass Kappe und Schal als Modegag akzeptiert wurden, denn darauf hatte sie gehofft.

Vielleicht taten die Anderen aber auch nur so, als seien Monas Kappe und Schal modische Accessoires, obwohl sie in Wirklichkeit wussten, dass sie ein Ersatz für das Kopftuch waren. Vielleicht war es in dieser internationalen Akademikergruppe eine Frage der Diplomatie, den Schein für die Wirklichkeit zu halten – und dies subtil zu persiflieren. Als Begründung für die Art, sich zu kleiden, ist Mode, so ernst man sie auch nehmen mag, immer noch unverbindlicher und unverfänglicher als Religion.

Wenn Mona doch das Kopftuch getragen hätte, hätten die Anderen es ihr dann auch gleichgetan? Als überaus flüssige, verschlingende Kraft, die grundsätzlich in der Lage ist, sich aller Bekleidungstraditionen dieser Welt zu bemächtigen, könnte sich die Mode auch des Kopftuchs annehmen. Es wäre dann ein Angebot an alle und könnte überall getragen werden, z.B. im Club. Nichtmusliminnen würden es umbinden, weil es ein angesagtes Teil wäre und sie Spaß daran fänden, zumindest eine Zeitlang. Es könnte ein „must have“ werden, an der Kreativität der Designer sollte es nicht scheitern. Dann würde sich herausstellen, ob das Kopftuch Mode sein kann.

Meine Voraussage lautet: Nein. Muslime würden sich empören. Schon einmal hat arabische Schrift auf einem Kleid einen Skandal ausgelöst. Aber das ist eben Mode pur: Sie bedient sich ungehemmt im Fundus des Schönen – und wer will die Schönheit der arabischen Schrift leugnen? Mode überführt sie ins Dekorum für eine Saison. Für Muslime jedoch hat die arabische Schrift, auch und besonders die Kalligraphie, sakrale Bedeutung. Das Objekt, das sie schmückt, gewinnt dadurch ebenfalls eine sakrale Qualität. Ein Frauenkleid aber kann niemals sakral sein. Arabische Schriftzeichen auf einem westlichen Modeartikel erhöhen nicht das Beschriebene, sondern das Objekt erniedrigt die Schrift.

Genauso würden Muslime im Fall des Designerkopftuchs für Nichtmusliminnen die Modeindustrie der Herabwürdigung eines religiösen Symbols bezichtigen. Das würden auch dieselben tun, die jetzt meinen, man sollte die Kopftuchfrage doch nicht so hochspielen, es sei doch eine Modesache. Sie lenken ab. Viele merken es nicht, und viele wiederum sind so höflich, sich ablenken zu lassen.

Versetzen wir uns in die Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts. Farah Diba, die Ehefrau des Schahs von Persien, war eine Mode-Ikone des Westens. Ihre Bienenkorbfrisur kopierten Millionen von Frauen. Gerade diese Frisur hat der Prophet Muhammad ausdrücklich verdammt. In der Überlieferung heißt es: „Frauen … deren Haare wie die geneigten Kamelhöcker frisiert sind. Diese werden den Paradiesgarten nicht betreten, und nicht einmal sein Duft wird sie erreichen, obwohl er sehr weit reicht.“ Scheich Al-Qaradawi, eine wichtige Instanz für islamische Lebensführung heute, schreibt: „Die Frisur verglich der Prophet mit dem Höcker einer besonderen Kamelart (bakht), die sehr große Höcker hat, weil die Frauen ihr Haar in Bienenkorbform von der Kopfmitte nach oben frisierten.“ (Erlaubtes und Verbotenes im Islam, München 1989, S. 80) Der Westen hat also damals für Mode genommen, was in Wirklichkeit ein Zeichen des Widerstands gegen Bevormundung war. Heute nimmt er wieder für Mode, was in Wirklichkeit ein Zeichen der Unterwerfung und des Einverständnisses damit ist.

Gastautorin Barbara Köster hat Soziologie und Politikwissenschaften studiert.

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