Über Religionsfreiheit und das Leben: Denny Crane und Alan Shore

Wo fängt Religionsfreiheit an - und wo endet sie. Diese Frage gilt es weltweit schnellstmöglich und klar zu beantworten: Sie endet vor der Person des Nächsten. Vielleicht schon an der Tür der Moschee und der Kirche: Wenn man sie von innen aufmacht.

Screenshot: Boston Legal

Wir lernen mit Unsicherheiten zu leben. Das war gestern nicht anders als heute. Und es wird auch morgen so sein. Seien Sie sich gewiss: Was auch immer morgen passiert, das ist heute ungewiss.

Aus der Bostoner Anwaltskanzlei Crane, Poole und Schmidt kommen die beiden Protagonisten der Serie „Boston Legal“, Denny Crane und Alan Shore. Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Neben einem großen Ego eint sie – und daraus machen sie keinen Hehl – Liebe. Die Liebe zu Frauen, zu Brüsten und Hintern, hin und wieder auch ihrem Intellekt – und auch der Liebe zueinander, obwohl Denny als Republikaner und Waffennarr Homosexuelle eher geringschätzt und Alan als Demokrat sowohl Waffenbesitz als auch jeder Abneigung ggü. Homosexuellen völlig entgegensteht. Einer der beliebtesten Zitate von Denny Crane lautet: „Lock and Load!“ – Laden und sichern. Um sich zu motivieren reicht aber auch ein einfaches: „Denny Crane“

In „Boston Legal“ verkleiden sie sich als Flamingos, messen ihre Kräfte beim Catchen vor Publikum, kostümiert als Indianerhäuptling und als Ringer (mit Zigarre!), natürlich geht es da auch oft um eine Frau. Aber wann immer sie sich im Wettkampf gegenüber stehen, in den allermeisten Fällen mit Worten, am Ende eines jeden Tages sitzen sie bei einem Drink beisammen. Eine herrliche Streitkultur.

Die Serie lebt von großartigen Dialogen, von politisch völlig unkorrekten Äußerungen, die man heute wahrscheinlich nur noch schwer oder gar nicht mehr durchbekommen würde bei den Kontrollbehörden einer gehorsam erzwingenden Minderheit. Wirklich jede Episode ist sehenswert. Ein jedes Abschlussplädoyer liefert eine gute Auseinandersetzung oder Abhandlung über Geschehnisse und vorherrschende Themen der amerikanischen Politik und Gesellschaft – und man erfährt viel über amerikanische Geschichte. Trends aus den USA kommen mit Verzögerung von einigen Jahren auch hier an. Somit behandelt die Serie von gestern auch Themen, die erst heute bei uns aktuell sind.

Am Ende fast jeder Folge finden sich die beiden Charaktere Abends auf dem Balkon der Kanzlei ein, zu einem Brandy oder Whiskey, einer Zigarre – und einem Gespräch. Sie sprechen über Freundschaft, über Zuneigung, über Sorgen, über Fälle, über Frauen, über Begierden – eben über das Leben. In ihrer ganzen Unterschiedlichkeit und ihrer ganzen tiefen Wertschätzung füreinander. Und diese Momente der Zusammenkunft haben alleine schon deswegen etwas entwaffnendes.

In der Folge Whose your God anyways / Schlammschlacht, geht es darum, dass einer der Anwälte der Kanzlei, der sich mit einer eigenen Praxis selbstständig gemacht hat, einen seiner angestellten Anwälte entlassen musste, weil dieser als Anhänger der Scientology Church seine Religion auch innerhalb der Firma sehr offen und freizügig ausgeübt hat. Der entlassene Anwalt verklagt nun seinen ehemaligen Arbeitgeber Jerry Aspensen, einen Anwalt mit Asperger-Syndrom, eine Form des Autismus. Jerry bittet Alan um dessen rechtliche Vertretung.

Hier die Abschlussplädoyers der Anwälte Sally Heep (Kläger) und Alan Shore (Beklagter). Es behandelt Aspekte der Religionsfreiheit:

Sally Heep: „Hier geht es um die Freiheit der Religion, die wohl persönlichste aller individuellen Freiheiten. Die Scientology mag dem Beklagten etwas exzentrisch vorkommen, na und, was solls? Wir haben Religion noch niemals nach Vernunftkriterien beurteilt. Welche Religion würde bestehen, wenn wir das täten? Christian Scientists gehen nicht zum Arzt, die Zeugen Jehovas verbieten das Singen der Nationalhymne und den Kauf von Pfadfinderkeksen. Radikale Islamisten sprengen sich in die Luft um im Himmel Jungfrauen zu treffen. Die Hindus haben ihre Kühe. Die Menschen glauben an sehr viele heilige Dinge. Es ist ihr gutes Recht, das zu tun. Laut dem ersten Verfassungszusatz. Aber der Beklagte will Douglas Kahns daran hindern dieses Recht auszuüben. Weil er fürchtet die Scientology könnte vielleicht etwas zu weit gehen oder so. Ich bitte Sie, wir haben Religionsfreiheit. Das bedeutet: Es geht ihn nichts an.“

Alan Shore: „Oh bitte, diese Freiheit ist doch albern. Das Benehmen eines Angestellten fällt immer auf den Arbeitgeber zurück. Hier geht’s um eine Anwaltsfirma, wo Mandanten für viel Geld qualifizierte Rechtshilfe suchen und da behauptet jemand, wir stammen von einer Muschel ab, weil galaktische Kriegsherren in unsere Vulkane flogen. Der hat doch nicht mehr alle. Ich weiss nicht, wie es Ihnen geht, aber mir hängt diese Religionsfreiheit allmählich zum Hals raus. Wo hat die Religion ihren guten Namen überhaupt her? Das Christentum hatte seine Kreuzzüge, Reformationskriege, den Glaubenskrieg in Nordirland, im mittleren Osten gibt es Massentötungen angeblich im Namen von Allah und dann natürlich die obligatorischen Vergeltungsmassnahmen. Hunderte von Millionen von Menschen starben in religiösen Konflikten. Hitler handelte im Namen seines Schöpfers. 9/11 waren Attentate von religiösen Extremisten. Die größte Bedrohung unserer Zeit ist der heilige Jihad. Wenn wir schon nicht bereit sind, den Schleier der Unberührbarkeit vom Gesicht der Religionen zu reißen, sollten wir zumindest etwas vorsichtiger mit unseren verfassungsmäßigen Rechten sein, die es uns erlauben, jeden Unsinn zu verherrlichen.

Ihr Mandant wurde gefeuert, weil er sich an seinem Arbeitsplatz aufgeführt hat, wie ein kompletter Trottel. Und jetzt versucht er mit Hilfe eines Gesetzes Kasse zu machen, das oft überschätzt und daher missbraucht wird. Jeder Mensch hat das Recht auf seinen Glauben an Gott, Gebete zu Gott, die Verehrung von Gott. Aber nicht das Recht ihn anderen aufzuzwingen, sie damit zu schikanieren ihn anzunehmen. Die Väter der Verfassung schufen dieses Gesetz, um religiöse Verfolgung zu unterbinden, nicht sie zu lizensieren. Und was Jerry Aspensen angeht (der Beklagte), der redlich versucht seine Anwaltspraxis aufbauen: erzählen Sie mir nicht, dass der Mann kein Opfer ist, wenn einer seiner Mitarbeiter gegenüber Mandanten, Kollegen und anderen Anwälten stolz verlauten läßt, dass er aufgrund seiner letzten Psychometermessung der Unsterblichkeit näher kommt, die ihn befähigt seinen Körper zu verlassen und mit Zebras zu sprechen. Es gibt einen Punkt, da müssen wir einfach sagen: Schluss mit dem Religionsfreiheitsquatsch. Basta. Igitt. Igitt.“

Religionsfreiheit. Oder auch: Im Namen der Religion. In der Geschwindigkeit, in der der aufgeklärte Westen gerade bereit ist, seine verfassungsmäßig geschützten Rechte in vorauseilendem Gehorsam selber auszuhebeln und per Definition umzudeuten, würde es auch nicht wundern, wenn es demnächst heißt, dass Attentäter bei der Ausübung ihrer religiösen Freiheiten nicht gestört werden dürfen.

Wo fängt Religionsfreiheit an – und wo endet sie. Diese Frage gilt es weltweit schnellstmöglich und klar zu beantworten. Und es kann nur eine Antwort geben. Sie endet vor der Person des Nächsten. Vielleicht schon an der Tür der Moschee oder der Kirche: Wenn man sie von innen aufmacht.

„Zaubere ein Kaninchen aus dem Hut. Das ist es – das Geheimnis. Im Prozessrecht, genauso wie im Leben.“

Denny Crane und Alan Shore sind zwar fiktive Figuren. Aber sie geben in ihren jeweiligen Ansichten, in ihren Unterhaltungen und Gedanken, in ihren Handlungen, eine gute Inspiration für das täglichen Leben. Zaubere ein Kaninchen aus dem Hut. Und: weniger Sorgen, mehr Leben.

Am Ende der ersten Folge sitzen die beiden – wo schon – auf dem Balkon der Kanzlei. Bei einem Whiskey und einer Zigarre. Alan fragt:

– „Erinnerst Du Dich noch an meine Frage von neulich Abend?“

– „Wie war die noch?“

– „Hast Du Angst?“

– „Das einzige, wovor man Angst haben sollte, ist das morgen. Ich lebe nicht für das morgen. Habe ich nie getan, mein Sohn.“

„Denny Crane.“ Alan erhebt das Glas: „Auf kein morgen!“

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