Rote Karte vom Leser

Die Causa Diekmann sollte als Menetekel für Medien, Parteien und Kirchen taugen. Auch ihnen laufen Kunden und Mitglieder in Scharen weg, weil sie den Gleichstream in Meinung, politischer Ausrichtung und moralischer Verkündung nicht länger ertragen wollen.

Wenn der Erfolg ausbleibt und die Auflage ins Tal rauscht, dann geht es in Zeitungsverlagen mitunter so zu wie in der Fußballbundesliga: der Trainer hat fertig! Der Bild-Zeitung zeigten über 2,6 Millionen Leser seit 2001 die Rote Karte. Bild-Gruppen-Chef Kai Diekmann nimmt seinen Hut. Ein Schelm, der sich Böses dabei denkt und ein Junktim zwischen überraschendem Abgang und massivem Leserschwund knüpft. Die Causa Diekmann sollte als Menetekel für andere Medien, Parteien und Kirchen taugen. Denn auch ihnen laufen Kunden und Mitglieder in Scharen weg, weil diese den Gleichstream in Meinung, politischer Ausrichtung und moralischer Verkündung nicht länger ertragen wollen.

Die Hammer-Personalie vermeldeten die meisten Gleichstream-Medien auffallend nüchtern, ohne den sonst üblichen Info-Meinungs-Mischmasch: Kai Diekmann, von 2001 bis Ende 2015 Chefredakteur der Bild-Zeitung und zuletzt Herausgeber der „Bild-Gruppe“, verlässt zum 31.Januar 2017 den Springer-Konzern. Auf eigenen Wunsch, wie es heißt. Da helfen auch keine warmen Abschiedsworte von Verlagschef Matthias Döpfner. Fakt ist, was jeder in den Media-Daten der Bild im Internet nachrecherchieren kann: die gedruckte Bild hat während Diekmanns Ägide über 2,6 Mio Leser verloren. Von ehemals über 4,5 Mio auf rd. 1,8 Mio verkaufte Auflage. Der 52jährige hat, so kann man schlussfolgern, Deutschlands größtes Boulevardblatt grandios gegen die Wand gefahren.

Das Handelsblatt mutmaßte bereits im Oktober 2016 öffentlich, dass die Bild, die unter massiven Auflagenschwund leide, womöglich ein grundsätzliches Problem habe: „Chefredakteur Kai Diekmann umgarnt ein hippes Szene-Publikum, dem er sich mit Hipster-Bart, Tattoos und zerfetzten Jeans auch im äußeren Erscheinungsbild angenähert hat. Zudem versteht sich ‚Bild‘ unter seiner Führung immer mehr als politisches Leitmedium. Beim Spagat zwischen Politik und Szene bleibt die eigentliche Kernzielgruppe des Boulevardblatts auf der Strecke: Der einfache Mann von der Straße findet sich immer weniger in ‚Bild‘ wieder“, schrieb Medienexperte Kai-Friedrich Renner.

Eingefleischten jahrzehntelangen Bild-Lesern schwante schon seit längerem Böses: So flatterten Spitzenleute der Bild-Redaktion wie Schmetterlinge mal eben zum „Erzfeind“ Spiegel und kehrten zurück. Oder sie liefern sich bis heute auf Phoenix mit Spiegel-Erben Augstein verbale Schlagabtausche, die an absurdes Theater erinnern. Zu Axel Springers Zeiten wohl undenkbar.

Der Autor dieses Beitrags erinnert sich noch lebhaft an seine Zeit als Jungredakteur, als 1977 der Undercover-Reporter Wallraff in der hannoverschen Bild-Redaktion die Bombe über unsaubere Recherchepraktiken platzen ließ. Wer konnte ahnen, dass Diekmann im Mai 2016 mit Wallraff das Kriegsbeil beim Tischtennismatch begrub. Er werde Bild auch weiter kritisieren, sagte Wallraff nach gewonnenem Match. Der Mann ist sich treu geblieben.

Das kann man von Diekmann, der rein äußerlich manche Wandlung durchmachte – mal mit Taliban-Zierde, mal glattrasiert mit gegelten Haaren wie weiland von und zu Guttenberg, zuletzt mit offenem Hemd und Drei-Nächte-Bart – nicht gerade sagen, bezogen auf die Ausrichtung der Bild. Steherqualitäten bewies er noch im Rahmen der Wulff-Affäre. Der Ex-Bundespräsident hatte es ihm aber auch recht leicht gemacht, als er am 12.12. 2011 Drohungen auf Anrufbeantworter sprach. Im Januar 2012 trat Wulff zurück.

Irgendwann danach wandelte sich die Bild vom Saulus zum Paulus. Das Fass zum Überlaufen brachte wohl für manche Leserschichten schließlich die Flüchtlingskrise, als die Bild Ende 2015 zunehmend auf „Pro Asyl-Merkel-Linie“ einschwenkte und viele konsternierte Leser vor den Kopf stieß. Bis dahin war die Bild für Blaumann- oder Schlipsträger gleichermaßen tägliche Lesedroge. Man las sie offen in der Frühstückspause, verschämt auf dem Klo – aber man las sie. Ob man sie mochte oder nicht: Sie war Garant dafür, dass die Dinge am Ende beim Namen genannt und notfalls zurechtgerückt wurden. Am Schluss ergab bei Bild eins und eins immer noch zwei.

Dieses Urvertrauen ist für breite ehemalige Leserschichten aufs Spiel gesetzt. Nicht nur das: Berufskollegen wurden zum Gegner. Mit am heftigsten wird Diekmann ausgerechnet von einem früheren Co-Chef von Bild, Peter Bartels, kritisiert: „Er (Diekmann) ist der Totengräber von Bild. Sein vorerst letzter Fehler begann, als er 2015 anfing, dem Mainstream in den Arsch zu kriechen und seine Leser erst zu beschimpfen, dann zu vertreiben. Weit über eine Million nicht registrierter Flüchtlinge fluteten die von Honeckers Musterschülerin Merkel geöffneten Grenzen. Und Diekmann sagt «Welcome!», sogar in extra 40.000 auf Arabisch gedruckten Blöd-Zeitungen – und verschenkt sie an Moslems, die nicht lesen können, weil sie´s nicht gelernt haben.“

Der Leser (z)sieht rot

Der fortwährende Abstieg von Bild vom „5-Millionen-Blatt zur 1,8-Mio-Vogelkastenunterlage“, wie ein Internet-Forist lästerte, lässt sich anhand der Mediadaten nachvollziehen. Wie der Branchendienst Meedia meldet, verlor Bild allein im 3. Quartal 2016 im Vergleich zum 3. Quartal 2015 fast 250.000 Leser im Abo- und Einzelverkauf. Die Auflage liegt jetzt bei rd. 1,8 Mio Leser (Auflagenschwund als Grafik des medienkritischen BildBlogs).

Die großen überregionalen Tages- und Wochenzeitungen haben allesamt Käufer verloren. Nach neuesten Quartalszahlen der IVW büßten laut Meedia neben Springers Bild und Welt auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Abos und Einzelkäufer ein: jeweils mehr als 10%. Relativ glimpflich davon kamen Die Zeit und das Handelsblatt – dort stützen die Auflage allerdings wertlose e-Papers, die als Ergänzung zum Abo verschenkt werden. Aufsteiger gibt es nur unter den kleinen Wochenzeitungen.

Ob die großen Pressemedien die Causa Diekmann als Menetekel verstehen und zum Anlass nehmen, den medialen Gleichstream wieder in einen kritischen, investigativen Journalismus münden zu lassen, muss man abwarten. Gewiss lässt sich der Niedergang der Auflagen einschließlich wirtschaftlicher Verluste nicht allein an der einseitigen GroKo-affinen Berichterstattung in der Flüchtlingskrise und ihren Begleiterscheinungen festmachen. Aber sie ist geeignet, enttäuschte Leser auf immer zu verlieren  und das Misstrauen zwischen Lesern und Redaktionen zu vertiefen.

Auch die Parteien und Kirchen stecken im selben Dilemma. Den Berliner Koalitionsparteien laufen die Mitglieder davon. Terror und die Flüchtlingsthematik gelten als Gründe. Die FDP legt leicht zu, am stärksten wächst die AfD, meldet die Funke Medien Gruppe. Die CDU verlor in 2016 rd 13.000 Mitglieder, die CSU 1.000, die SPD hat sich nach einem Einbruch im Sommer wieder erholt. „CDU – Eine Partei fürchtet das Volk“, titelt Zeit Online.

Seit Sommer liegen die Zahlen der Austritte aus den beiden großen christlichen Kirchen vor. 2015 kehrten 181.925 Katholiken ihrer Kirche den Rücken. Im gleichen Zeitraum verließen 210.000 Protestanten die 20 evangelischen Landeskirchen. Die Kirchen trösten sich mit zurückgehenden Austrittszahlen im Vergleich zu 2014. Über die Gründe für die Austrittszahlen lässt sich nach Meinung der Kirchen nur spekulieren. Meistens gehe ein langer Entfremdungsprozess voraus.

Wie auch immer: Bürger, Leser, Partei- und Kirchenmitglieder haben es offensichtlich in der Hand, Wirkung zu entfalten.

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