Illner: Pipi, Kacka, Böhmermann

Die Wirklichkeit, die diese Regierung erzeugt, ist nur noch mit den Mitteln des Films zu erklären: Illusion, Wirklichkeitsverweigerung und Produktion einer eigenen Wirklichkeit. Das klappt, solange Erdogan nicht die Fenster einwirft.

Screenshot: Illner, ZDF

Es war an einem Abend im Jahre 2005. Barbara Schöneberger moderierte gerade ihre Sendung „Blondes Gift“ am späten Abend auf ProSieben. Die Sendung dümpelte so vor sich hin, plötzlich entfuhr der drallen Wonneproppen-Gastgeberin ein derbes Wort über ihre Oberweite. Sofort ging ein lauter werdendes Raunen durch das anwesende Studiopublikum. Schöneberger unterbrach, wandte sich daraufhin kurz vom Gast ab, zum Publikum hin und sprach die denkwürdigen Worte

„Ja, ja, alle sind kurz vorm Einschlafen und kaum sagt man Pipi, Kacka, Pullermann sind sie wieder voll da.“

Landauf, landab reagieren in diesen Tagen auf diese magischen Hallo-Wach-Wörter Journalisten wie Präsidenten und auch der einfache Kilian Schneider-Riemensbach/ Otto Normalverbraucher.

Mit eben jenen Worten nur so um sich geworfen hat Jan Böhmermann, mittlerweile selbst der komatösen Großmutter auf Station 3 im Pflegeheim „Auszeit“ Osnabrück-Süd bekannt. Deutschland hatte früher den Musikanten-Stadl, jetzt reagiert seine Regierung nur noch wie ein wirrer Komödiantenstadl, und das ganz Land klatscht oder buht mit. Bloß, was wirklich abläuft, geht verloren. Wie bei Maybritt Illners Sendung, die wunderbar in das neue Staatskonzept der Verwirrung ohne Maß und Mitte passt. Argumente auch über so eine Talkshow kann man nicht mehr austauschen. Der Anlass ist lächerlich, die Reaktionen darauf jenseits der Realität und nur noch als Realitätsverweigerung zu begreifen. Üblicherweise dreht man dafür einen Film.

Gedichtet hatte Böhmermann auf den türkischen Sith Lord Präsidenten, zu dem unsere oberste Führungsetage im Kanzleramt ein wohlwollendes und mehr als entgegenkommendes tief buckelndes Verhältnis etabliert hat.

Jetzt hat die Bundesregierung eine Erklärung von Kanzlerin Angela Merkel zum Fall Böhmermann angekündigt. Dazu wird sie um 13 Uhr vor die Presse treten. Merkel wird dann vermutlich die Entscheidung bekannt geben, ob nach dem Strafverlangen der Regierung Erdogan eine Verfolgungsermächtigung erteilt und damit gegen den ZDF-Moderator wegen Beleidigung des Staatspräsidenten nach Paragraf 103 Strafgesetzbuch ermittelt werden kann. Ein Gedicht wird damit endgültig zur Staatsaffäre.

Satire sagt, was Regierung diplomatisch vermitteln sollte

Böhmermann hat unseren oberen Hühnerstall und deren Vorsitzende mit ihrer hervorschnellenden (und gar nicht hilfreichen) Kuckucksuhr-Reaktion auf seinen Schmährotz in eine Position gerückt, die sie eigentlich von alleine hätten einnehmen sollen, Haltung vorausgesetzt. Nicht viele von Ihnen werden „Tatsächlich Liebe“ gesehen haben. Es gibt da eine Stelle, wo der Premierminister von Großbritannien, dargestellt von dem luschigen Hochfrequenz-Zwinkerer Hugh Grant, vor die Presse tritt, gemeinsam mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika. Zuvor hatte dieser in zähen Verhandlungen den Prime Minister, die Amtskollegen und das britische Volk ziemlich über den Leisten gezogen bzw. ziehen wollen. Dann eine Schlüsselszene und dem Premier ist klar, was zu tun ist – dass er ab sofort mehr Stärke zeigen muss gegenüber jemandem, der sich wie ein Rüpel verhält. „Ein Rüpel ist nicht unser Freund.“ Nun, wer auf diesen „David & Nathalie“ Moment bei unserer Regierung gewartet hat, dem sei gesagt: Film ist Film und das da draußen ist die Wirklichkeit. Nichts desto trotz fassen es die Menschen nicht, wieso unsere Regierung vor einem Despoten einknickt und eine Forderung nach der nächsten erfüllt, wo sie vorher Gelder für UNHCR gekürzt, Interventionsmaßnahmen versäumt und bei der Bewältigung dieser Krise schier endlos ambivalente Signale in die Welt und unsere europäischen Nachbarn und überkontinentalen Zuschauer auf die Bildschirme geschickt hat – dies sogar jetzt noch tut, wenn sie sich über Grenzschließungen/-kontrollen mokiert.

Böhmermann hat dem normalen Menschen, der seit Wochen dieses Unverständnis mit sich herumschleppt, eben diesen emotional entkorkenden „David & Nathalie“- Moment beschert, da, wo unsere Regierung versäumt hat, dies mit diplomatischen Mitteln an den Diktator zu bringen. Jemand, der sich rüpelhaft verhält, ist kein Freund und wird auch nicht so behandelt. Böhmermann hat den Topf vom Deckel gezogen und den Blick auf das kochende Wasser freigelegt. Er hat, man mag ihn, man mag ihn nicht, aber er hat es geschafft, europäischen und nun auch asiatischen Staatsoberhäuptern die Adern auf den Schläfen pulsieren zu lassen. Wer kann das von sich behaupten. Der Erdowahn-Song war ganz goldig, aber für eine richtige Eskalation muss man eigentlich eine ganze Schippe drauf legen. Außer, ganz Deutschland ist ein Komödiantenstadl und die Regierung der besoffene Wirt, der beim Singen den Text vergisst.

Und ja, es gibt viele Türken, die sich angesprochen und beleidigt und besudelt und all das fühlen, obwohl es explizit um die Person Erdogan ging (weshalb dessen Klage als Privatperson auch sehr nachvollziehbar ist). Ein anderer Teil, mein Kollege Stephan Paetow schrieb „Inhaftierte in den Gefängnissen“, aber auch liberale und moderate Türken in der Türkei und auch hier haben gelacht, gelacht, gelacht. Befreiend gelacht. Was man sich nur noch in den vier Wänden bei Kerzenschein mit ausgeschaltetem Handy zu erzählen traut, rauschte per Internet und Sat-TV in die Wohnzimmer.

Last but not least gibt es da einen dritten Teil deutscher, deutschtürkischer und sonstiger Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Schritt zurücktreten und halbwegs amüsiert dabei zusehen, wie die Deutschen sich wie bei so vielen Themen dieser Art, wo es um den Islam und das große reflexhafte Beleidigtsein dieses Bevölkerungsgrüppchens geht, ihren bewährten Selbstzerfleischungs-Tango tanzen. – „Das darf man doch so nicht sagen.“ – „Darf man doch.“ – „Das geht doch gegen jeden guten Geschmack, das ist unverschämt.“ – „Das muss der aber aushalten. Er kann ihn ja auch ignorieren, diesen kleinen Stinker.“ – „Nein.“ – „Doch.“ – „Orrr!“ Gefolgt vom obligatorischen: „Liebe Türken, es tut uns leid, ich schäme mich so Deutscher zu sein.“ Beleidigt sein können viele, sich schämen aber fast ausschließlich nur die Deutschen. Die Palette ist endlos und nach einer Woche Böhmermann hoch und runter, Aufmacher der Tagesschau und sonstiger Nachrichten ist man wirklich beinahe wundgescheuert.

Der Mensch Böhmermann braucht zum ersten Mal in seinem Leben Personenschutz. Den er bei aller Satire und Schmäh auf deutsche Rechtsextreme bislang nicht in Anspruch nehmen musste. Und auch da bestätigt Böhmermann die absolute Berechtigung seiner langgezogenen Beleidigungssatire: Wer auf gleich welche Beleidigung mit einer Bedrohung auf die leibliche Unversehrtheit reagiert, ist meilenweit von einer Visafreiheit, geschweige denn einer privilegierten Partnerschaft entfernt.

Everybody needs a good roast

In meinem ersten Beitrag bei Tichys Einblick schrieb ich über die Väter der Zeichentrickserie South Park:

Die Macher Trey Parker und Matt Stone, die wie die Protagonisten aus ihrer Serie aus Colorado stammen, bedienen in der von ihnen konzipierten Dauertorpedierung der Political Correctness die komplette Klaviatur des schwärzesten, bissigsten Humors, der selbst vor sehr ausgedehnten fäkalhumoristischen Exzessen nicht zurückschreckt. In jeder Folge, die übrigens stets binnen einer einzigen Woche vor der jeweiligen Austrahlung ensteht, nehmen die beiden Macher zu gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Themen und Strömungen der USA Stellung. Die Beiden leihen auch jedem der Hauptcharaktere ihre Stimme – in jeder Hinsicht. Dabei knöpfen sie sich reihum jede Form der Religion, Glaubensgemeinschaft oder Sekte vor. Christen, Moslems, Asiaten, Juden, Scientologen und „die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“ (Mormonen) – Kommunisten, Sozialisten, Ökos, Liberale, Kapitalisten, Naturisten: wirklich alles und jeder kommt vor das politisch unkorrekte “South Park” Schrotgewehr. Pädophile, Feministen, Homosexuelle, Behinderte, Heteros – Schwarze, Weiße, Rote, Gelbe – quer durch alle Bevölkerungsschichten – Politiker, Unternehmer, Schauspieler, Konzerne – keiner kommt davon. Es gibt wirklich keinen Raum, keine weinerliche Minderheit, keine freche Lobby, die ausgespart bliebe.

Es gibt keine neutrale Schutzzone à la Schweiz, die Trey Parker und Matt Stone unangetastet lassen. Nichts ist noch heilig in einer Zeit, in der jede Minderheit eine Lobby, in der jede sexuelle Vorliebe ein eigenes Regal in der Schmuddelecke der Videothek hat und in der jede Person laustark „ich bin ernsthaft empört!“ rufen kann. Ungerührt greifen sie jede Meinungs-Großmacht an, die sonst jedem anderen ihre perverse Sicht der Dinge vorschreibt.

Parker kommentiert das tiefenentspannt und doch voller Überzeugung mit „Everybody needs a good roast.“ was in etwa soviel bedeutet wie „Jeder kann es gebrauchen, dass man mal hart mit ihm ins Gericht geht.“

Everybody needs a good roast – das ist ein demokratischer Prüfstein. Hältst du das aus, kannst du über dich selber lachen, bist du dabei.

Jetzt wissen wir, was unsere Politik braucht: Keine Schwurbel-Talkshow, sondern a really good roast.

Nach einem Beitrag von Kollege Gadamer zu „Erdowie, Erdowo, Erdowahn“ schrieb ein Mitarbeiter des WDR und wies daraufhin, dass es doch wohl auf Merkel eine Satire gegeben hätte: Den Merkel-Piloten Johannes Schlüter! Heureka! Also wirklich. Wie konnte man denn den Merkel-Piloten übersehen? Wo doch schon die gleichen platten harmlosen Plots fast 1zu1 der gleiche „Comedian“ Jahre zuvor schon im Bush-Piloten und Palin-Piloten gebracht hatte. Hohoho, hahaha, Schnarch, vorgetäuschter Schenkelklopfer, drei Mal aufgewärmt.

Sorry, aber SO würde das in etwa aussehen: The Roast of Roseanne  oder auch die ganze sehenswerte Sendung zum The Roast of Donald Trump.

Filakia!

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