Anne Will: Die Meinungsmilch war plötzlich sauer

Der Politiker sagt, die Russen sind schuld an der Aleppo-Katastrophe, der Ex-NATO-General sagt, alles ist unklar, nichts bewiesen. Von Diplomaten und Politikern kriegt man nie die reine Wahrheit, von der ganzen zu schweigen.

Screenshot ARD

Irgendwie hatte man das schon mal. Diesmal soll es um Aleppo gegangen sein, aber vorher war es die Krim, oder die Ukraine. Und auch die Gäste kennen wir schon.  Bei Will wird auf das Stammpersonal zurückgegriffen. Wenn Gäste und Thema alt sind, ist es die Sendung auch.

Bekanntes Thema, bekannte Gäste, alte Sendung

Dabei hatte sich Anne Will bestens vorbereitet auf den Fight, den ihre Gäste sogleich gegen den russischen Botschafter lostreten würden, der sichtlich nervös mit dem Deutschen kämpfte, um seine Sicht der Dinge einigermaßen hinzubügeln. Der Russe ist der Böse.

Auch das kennt man ja.

Doch brachte er klar zum Ausdruck, dass die Amerikaner gegen die Vereinbarungen „mit uns“, den Russen, verstoßen hätten. Mr. Kornblum, der sonore Amerikaner, Dauergast in der ARD, bei Will sowieso,  konnte das nicht so stehen lassen und sprach gleich von der ganzen Wahrheit im Kriege, von welcher der Russe, – den er übrigens sonst also sehr schätze und gut kenne – allenfalls die Hälfte vorgebracht habe. Hier sprang ihm sofort Norbert Röttgen zur Seite und trompetete heftig in sein Sickinger Blasinstrument: Kurz – die Russen seien schuld und Europa müsse endlich seine Stimme erheben in der syrischen  Kriegskatastrophe. Vermutlich hat er ja Recht. Schon lange. Es ist die Regierungslinie, auch schon lange.

Genau hier geschah dann der Eklat, als Kujat, ein alter deutscher Natogeneral stocknüchtern eingriff und die Fakten ordnete, die nämlich völlig unklar seien. Gar nichts sei bewiesen, er rehabilitierte den Russen und zieh den eifrigen Röttgen schlicht und trocken der Lüge. Das ist auch nicht besonders neu, nur in der Heftigkeit. Aber die Pensionierung liegt ja länger zurück. Das hilft bei der Wahrheitsfindung.

Da wird es Will zu viel und endgültig langweilig

Anne Will schien sprachlos und floh schnell zur barmherzigen Helferin, die aus dem syrischen Schlachthaus an ihren warmen Meinungsofen gekommen war.  Doch das erbrachte keinen Gewinn für das gebrochene Tabu.

Kornblum schien konsterniert über den Abweg des Generals von der gemeinsamen Flagge, zumal Kujat auch noch behauptete, die böse Al Nusra-Front sei doch ein Bündnispartner der Amerikaner. Frau Will erschrak und spürte wohl, dass ihr das Thema längst über den Kopf hinausgewachsen war. Die Wahrheit im Kriege zeigte ihre Lügenfresse, der mit der frommen  Denkungsart des Gutmenschentums as usual nicht mehr beizukommen war. Die Meinungsmilch war sauer geworden. Der Russe verbarg mit Not sein heimliches Grinsen, Kornblum kam noch blumig und rührend auf die moralisch hochstehende Persönlichkeit des amerikanischen Außenministers Kerry zu sprechen, der doch nicht ohne Not die Verhandlungen mit den Russen abgebrochen habe. Das glaube er einfach nicht. Aber das war ein Fehler, griff Kujat noch einmal ein und Röttgen buchstabierte  wieder seine europäische Phrasen-Suada entlang. Es war nichts mehr zu retten. Die Wahrheit schien deutlich, es gibt sie noch lange nicht im trüben Propagandakauderwelsch über das syrische Schlachthaus der Menschheit.

Flink rettete sich Anne Will zu den Tagesthemen.

Da waren dann die Trümmer und Toten von Aleppo Thema und grausame Wirklichkeit. Und die Zuschauer so unwissend wie vorher.

Wim Setzer ist Kabarettist, Kunstkritiker und Journalist.

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