Alternativloses Gegacker am Tresen bei Hart aber Fair

Man streitet in Brüssel über die Zukunft Europas. Wir bekommen weitere Millionen Einwanderer, wenn nicht mehr illegal, dann in Zukunft legal. Und unsere Entscheider, die das alles verwalten, albern herum, als ginge sie das alles nichts an. Die einsamen Kanzlerinnenentscheidungen haben die Debatten, den Streit um politische Lösungen, abgelöst.

Screenshot: hart aber fair, ARD

Der Trend bleibt: Auch bei Plasberg trotz hessischem Falldown Elefantenrunde ohne AfD. Tröstlich, dass einem auch die FDP-Vertreter erspart bleiben? Lindner und Petry allein zu Hause. Gut so, aus einem besonderen Grund: Weil die Damen und Herren Parlamentarier jetzt bei Hart aber Fair dazu verdammt sind, sich selbst zu streiten, statt einhellig über jemanden von der AfD herzufallen, wenn sie uns nicht endlose 75 Minuten langweilen wollen. Ein Stall voll aufgeregter Hühner ohne Fuchs. Lustiges Gegacker am Tresen bei Hart aber Fair?

Die Hennen sind die deutsch-britische Juristin Katarina Barley, taufrische SPD-Generalsekretärin und die Saarländerin Simone Peter, Bundesvorsitzende der Grünen. Den Kamm aufstellen wollen ein Oberleutnant der Reserve, der Generalsekretär der CDU, „Sie sind ein Arschloch!“- Peter Tauber, der bayerische Finanzminister Markus Söder, der zeitgleich mit dem Autor in Erlangen studiert hat und wieder aufpassen muss, sich nicht ohne Not auf den AfD-Stuhl zu setzen. Und mein persönlicher Favorit, der NVA-Fallschirmjäger Dietmar Bartsch, Fraktionschef der Linken im Bundestag. Der einzige, der heute den roten Kamm wirklich tragen darf.

Gleich mal schauen, ob wer den Stallgeruch abstreift und mit irgendwas Unreinem den Trampelpfad der politischen Korrektheit verlässt. Aus Versehen? Als Ausrutscher? Oder als vorgegaukelte Pluralität. Es wäre doch zu schön, wüsste man, dass die Damen und Herren vorher in der Garderobe um die Rollenverteilung schachern. Da müsste man mal heimlich eine Wildbeobachtungskamera aufbauen, die gibt es beim Aldi gerade für schlappe 70 Euro in HD-Qualität, aber dazu an anderer Stelle.

Bleibt noch Frank Plasberg. Der hat sich 2016 mit ein paar couragierten Auftritten ein Wohlwollen beim Zuschauer verdient. Aber seine drei weiblichen Mitbewerber, Will, Illner und Maischberger haben es ihm mit teilweise desaströsen Auftritten auch leicht gemacht, Hahn im Korb zu sein. Hoffen wir, er verzockt es nicht gleich wieder. Also Stalltür auf und los geht’s! Thema heute:

„Flüchtlingsgipfel und drei Wahlen – Abrechnung mit der Kanzlerin?“ Beim EU-Türkei-Gipfel braucht Sie den guten Willen der anderen, muss noch dazu allen ihren anderen Interims-Gefährten in der Flüchtlingsfrage Recep Tayyip Erdoğans Forderungsspirale bestmöglich verkaufen und zu Hause droht ihr derweil die Abrechnung per Wahlzettel. Herrje, ist die Frau noch zu retten?

„Es gibt Wochen, die findet man später vielleicht in Geschichtsbüchern wieder“, eröffnet Plasberg und meint den parallel laufenden Flüchtlingsgipfel. „Die Türkei treibt zur Stunde die Preise mächtig hoch mit den Flüchtlingen als Faustpfand“, legt Plasberg noch einen drauf.

„Die Balkanroute ist dicht“, Angela Merkel hätte sich gegen diese Formulierung mit Händen und Füßen gewehrt, erzählt der erste von vielen weiteren Einspielern.

Markus Söder betont, die Bayern sind am stärksten betroffen mit ihrer Grenze zu Österreich. Was der dortige Bundeskanzler Faymann meint, sei die Realität, antwortet Söder auf Plasbergs Frage, wer mehr Recht hätte, Merkel oder der österreichische Kollege. Bayern mental schon auf dem Weg nach Süden?

„Es kommen ja noch jeden Tag mehrere hundert Flüchtlinge an, so dicht kann die Grenze nicht sein“, betont Tauber und flüchtet sich in die Argumentationskette von der Bekämpfung des Schlepperunwesens. Er hätte auch die Ursachen-bekämpfen-Argumentation wählen können. Die Argumente sind alle ausgetauscht und einhundert Mal wiedergekäut. Egal, wonach man blind greift, wird schon passen irgendwie. Das Vokabular wird gebetsmühlenartig in allen Versatzstücken heruntergefriemelt. Aber wo kein Kläger, da kein Richter. Alle am Tisch bedienen sich aus dem selben Klammerbeutel.

Die grüne Simone Peter ist Plasbergs erste Adresse für die antidemokratischen Verwürfnisse in der Türkei. Warum eigentlich? Weil die Grünen so besonders menschenrechtsaffin sind? Peter meint, es werde doch gegen die Flüchtlinge Krieg geführt von Frontex und Nato. Frau Barley findet auch, die Probleme in der Türkei würden nicht totgeschwiegen: Sie wechselt aber wie die Grüne sofort hinüber zu den leidenden Menschen an den Stacheldrahtzäunen. Bilder als stärkstes Argument. Oder nein, sie bringt zusätzlich noch die Kontingentargumentation ins Spiel. Auch aus der großen komfortabel eingerichteten Geschwätzekiste der letzten Monate.

Dietmar Bartsch findet das alles unfassbar. Klar, das ist seine Rolle: Der Kretschmann der Linken gewissermaßen. Immer irgendwie eine Spur zu nett, wenn er böse werden will. Mit dem würde man gerne mal ein Pfeifchen Crystal meth … ach Quatsch … ein Bier trinken! Die Türkei sei Pate des Terrorismus. Und „Erdogan ist der Terrorpate. Das ist inakzeptabel. Das ist unwürdiges Geschacher. Wer die Balkanroute zumacht, das ist doch eine Illusion zu glauben, dass das die einzige Route ist.“ Na gut, wer Löcher stopfen will, muss die Nadel irgendwo ansetzen, will man ihm zurufen. Aber dafür müssen alle stopfen wollen. Doch da sitzen ein paar echt nadelfaule Damen am Tisch.

„Es kann nicht das Interesse sein, dass Deutschland immer mehr Leute aufnimmt“, versucht Söder aus dem Nichts beim Wähler zu punkten. „Wir müssen auch mal ein Stück an die einheimische Bevölkerung denken, wir dürfen die nicht alleine lassen.“ Das hat Sigmar Gabriel so ähnlich auch schon gesagt. Immerhin, bei Markus Söder klingt es deutlich glaubwürdiger. „Und die Visafreiheit mag die Flüchtlinge draußen halten, aber dann kommt eine Masse an legalen Einwanderern, ich erinnern nur an die Kurden, Klarheit und Wahrheit, wir müssen die Grenzen selber in der Lage sein zu schützen.“

Der irgendwie immer etwas linkisch wirkende Tauber meint, die Türken hätten doch schon über zwei Millionen Flüchtlinge. „Wir dürfen nicht sagen, die Türken machen dieses oder jenes falsch, um dann die Gespäche abzubrechen.“ „Das Schlepperunwesen muss beseitigt werden!“, hängt er noch hintendran und es wabert irgendwie verloren im leeren Raum wie eine Nachricht, die gar keine war.

„Aber wenn sie das Schlepperwesen bekämpfen, bekämpfen sie die Möglichkeiten der Flüchtlinge!“ interveniert Simone Peter. „Das wäre die einfachste Route, sonst werden die Menschen im Mittelmeer ertrinken. Das ist eine inhumane Flüchtlingspolitik.“ „Aber das sind doch nicht alles Kriegsflüchtlinge!“ schaltet sich Plasberg ein. So wie er sich noch öfter einschalten muss, weil einfach zu wenig kommt von seinen sich gegenseitig sedierenden Gästen. „Ja, das stimmt“, gähnt Peter. Hä? Und dann zieht die Grüne das nächste Beliebigkeitsargument aus Kiste, die irgendwo für alle erreichbar unterm Tisch stehen muss: die Genfer Konventionen. Also nicht, das die keinen Sinn machten, aber die inflationäre Anrufung ist schon eine hoher Abnutzungsfaktor.

„Wir brauchen nicht nur das Stoppen der Schlepperrouten, wir brauchen auch den legalen Flüchtlingsweg“, sagt Barley. Ja aber wozu, möchte man dazwischenrrufen? Damit noch mehr Menschen kommen, denen wir nichts mehr bieten können außer einem sozialen Netz? Und so geht es einfach nur weiter, wie in den letzten Monaten schon einhundert gekämpfte Scheingefechte: „Es gibt keine Obergrenze“, erklärt Barley. „Was sind Kontingente anders, als eine Obergrenze?“, fragt Söder.

„Wir können nicht illegale durch legale Flüchtlinge ersetzen. Es geht darum, die Zahl zu reduzieren“, sagt Markus Söder. Nach 30 Minuten immerhin alles zusammengefasst. Jetzt muss er aber aufpassen, dass er nicht vereinsamt in der Runde. „Wieso muss Deutschland eine Million aufnehmen und Frankreich nur 30.000?“ fragt Söder. Aber wen fragt er eigentlich? Den Zuschauer? Jeder weiß doch in der Runde, wie es dazu kam. „Wir haben nicht die Pflicht jedes Jahr 1,5 Millionen aufzunehmen!“ fühlt sich Frau Barley genötigt, dem Zuschauer zu erklären. Aber Beschwichtigen geht doch irgendwie anders. Trotzdem Applaus im Publikum. Spätestens seit Anne Will am Sonntag weiß man ja nun, wo die Claqueure herkommen, als Minister Maas seinen persönlichen Paladin im Anne-Will-Publikum platziert hatte.

Wolf Dieter Krause aus Brüssel mit Live-Schalte zum EU-Türkei-Gipfel: Frankreich sei wenig begeistert, was die Türkei da vorlegt. Die Franzosen mutmaßten sogar, dass der Forderungskatalog der Türken im Kanzleramt gefertigt und dann nur noch der Absender ausgetauscht worden sei. Da ist natürlich Klasse. Und ein Sachverhalt, der wirklich keines Beweises mehr bedarf, würde man denken, wenn man das politische Techtelmechtel zwischen Ankara und Berlin genauer verfolgt hat in den letzten Monaten.

Merkel wird eingespielt: Die Grenzöffnung war ein „Humanitärer Imperativ“. Was aber unterscheidet das von den Bildern heute an der griechisch-mazedonischen Grenze? – fragt die Off-Stimme nun in die Runde. Tauber erklärt, das wäre innerhalb der Europäischen Union gewesen, die Bilder heute kommen halt von außerhalb der Union. Man hätte Hotspots aufgebaut, da werden die Menschen heute versorgt. Nein, Tauber ist wirklich der denkbar schlechteste Anwalt seiner Kanzlerin. Ausputzen geht anders. Da müsste so ein Typ Michel Friedmann her: So einer, vor dem alle anderen Schiss haben. War der nicht auch in der CDU? Aber ist wohl nicht nibelungentreu genug. Zu eigensinnig, zu egozentriert. Schade.

Söder findet es gut, dass die Kanzlerin jetzt die Stimmung der Menschen im Lande aufnimmt. Es gibt für alles seine Zeit. Also ziehen sie doch nicht immer die künstliche Erregung nach oben, watscht Söder Richtung Peter und Bartsch.  Ach je.

Jetzt gibt Bartsch noch mal Gas und sagt, die Kanzlerin hat natürlich einen Kurswechsel vollzogen. Jetzt anders zu entscheiden als bei den Flüchtlingen aus Budapest, sei doch wohl unmöglich. Die meisten kämen doch nicht freiwillig. „Warum flüchten denn so viele Afghanen, es war doch ihre Regierung, die in den letzten 13 Jahren Soldaten nach Afghanistan geschickt hat …“ Klar, das ist ein übler Tritt vom Linken, denn er suggeriert, als hätten Deutsche Soldaten die Afghanen hier hergetrieben oder andersherum: nicht vernünftig gefightet, um das Land sicher zu machen. Sagt ausgerechnet einer aus der letzten echten Pazifistenpartei!

Bevor Söder schießen kann, wird wieder Krause aus Brüssel eingespielt. Er glaubt nicht, dass es den Knall geben wird, an dem die EU auseinanderfliegt. „Aber es wird zu einem Zerbröseln kommen, wenn immer mehr Staaten die europäischen Werte nicht mehr teilen.“ An solchen Dingen begehe Europa einen schleichenden Selbstmord. Das hat er die letzten Wochen bei jedem Gipfel gesagt.

„Flüchtlinge machen Politik, diesen Satz kann man sagen“, erklärt Plasberg und schaltet dann rüber zu seiner Assistentin mit dieser wilkürlichen Auswahl an Facebook-Kommentaren. Eine Pause für die erhitzen Gemüter, aber wer hat sich hier erhitzt? Da fehlt tatsächlich ein AfD-Vertreter mit so einer unangenehm übergekochten Liebe zum Vaterland.

Plasberg hat heute gefühlt die längste Redezeit. Die vielen Einspieler tun ein übriges. Winfrid Kretschmann wird mit seinem Kanzlerinnenlob eingespielt und man denkt zunächst, es handelt sich um eine Satire, was an der knarzigen Stimme liegen mag, aber noch mehr daran, das Kretschmann öffentlich verkündigt, für Merkels Gesundheit zu beten. Man soll sich doch mal vorstellen, die Frau stürzt. Peter betont etwas hilflos, Kretschmann wäre eben authentisch: besser kann man es kaum ausdrücken, wie wischiwaschi und sinnfrei sich heute die Parteien präsentieren.

Die Wahlverweigerer werden erneut die meisten Prozente auf sich vereinen. Wer will es denen übel nehmen? Die Demokratie schafft sich ab mangels Teilnahme. Die Sendung wird eine Viertelstunde vor Schluss zur Posse, als Plasberg Söder fragt, ob Seehofer auch für Merkel betet. Der Fremdschämmoment ist auf dem Siedepunkt. Wann ist endlich Schluss? Hat Plasberg gerade zur Uhr geschaut? Im Hintergrund Merkel und Kretschmann. Schwarz-grün vorweggenommen. Es ist schon ermüdend genug.

Haben sie gerade Herrn Tauber was zugeflüstert, fragt Plasberg Söder? Macht Plasberg das absichtlich? Will er die Berufspolitiker vorführen? Dann ist es ihm heute mal perfekt gelungen.

Ok, Plasberg unterbricht wirklich mehr als alle anderen. Er hat aber auch das meiste zu sagen von dem wenigen, was noch zu sagen ist. Das Niveau sinkt auf den Nullpunkt, als der Moderator fieserweise Katarina Barley einfach mal quatschen lässt. Schon nach zwei nichtssagenden Sätzen wartet sie verzweifelt auf die Unterbrechung. Ein toller Schachzug von Plasberg.  Barley redet sich um Kopf und Kragen. Und die anderen nehmen es dankbar mit Schweigen hin.  Man tritt nicht mehr, man lässt reden. Und wer redet, produziert Unsinn. Was sie gesagt hat? Es war der alte Krempel aus der Kiste, aber in nervenaufreibender Slow Motion. „Erst hören, dann stören“, meint Söder zu Bartsch, als wolle er, dass Barley nie mehr aufhört. Er zählt wohl jetzt anstatt Schäfchen heimlich die Stimmen, die wieder von der SPD wegbrechen.

Plasberg bringt zuletzt doch noch die geschasste AfD ins Spiel. „Wir wollen, das unser Land unser Land bleibt“, haut dieser Herr Tauber dazwischen. Und seine kleinen Augen werden noch kleiner, aber den Mund bekommt er trotzdem nicht voll. Es ist zum Heulen doof, so etwas zu kontern, wenn es um die Frage geht, warum die AfD so viele Wähler abgreift. Man streitet wie um die kleine rote Schaufel im Kindergarten. Passend dazu duzt Söder auf einmal seinen Unionspartner Tauber, der lächelt und gibt widerstandslos den willfährigen Juniorparter der CSU. Es ist eine der wenigen Blitzlichtsekungden; sie erhellt die Kumpanei der Parteifreunde, die zu gerne als harte Auseinandersetzung vorgegaukelt wird.

Fassen wir trotzdem zusammen: Man streitet in Brüssel über die Zukunft Europas. Wir bekommen weitere Millionen Einwanderer, wenn nicht mehr illegal, dann in Zukunft legal. Und unsere Entscheider, die, die das alles verwalten, albern herum, als ginge sie das alles nichts an. Die einsamen Kanzlerinnenentscheidungen haben die Debatten, den Streit um politische Lösungen, abgelöst. Die Bundesrepublik hat sich in einer ihrer größten Krisen selbst entpolitisiert und schüttet nur noch Milliarden in aller Herren Länder, bis auch diese letzte zuverlässige Quelle des Seins irgendwann versiegt.

„Vielen Dank für die engagierte Runde“, schließt Plasberg mit dem finalen Abschlussgag die Sendung. Ja, vielen Dank, ihr habt gezeigt, dass ihr alternativlos seid – also ohne Alternativen.

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