Zwei Lager, unversöhnlich.

Nach München herrscht Erleichterung, dass es sich wohl um einen Einzeltäter handelte, der mordete ohne politische Absicht. Aber die Spaltung der Gesellschaft in zwei gegnerische Lager mit gänzlich gegensätzlichen Anschauungen und Erwartungen ist damit nicht überwunden. Der Graben wird tiefer.

© Joerg Koch/Getty Images

Nach der Horror-Nacht von München versucht man, den Schreck aus den Kleidern zu schütteln wie Staub. Ein Einzeltäter, schrecklich, aber es wird sie wohl immer geben, die Amokläufer, die ihr kaputtes Leben endgültig zerstören, indem sie andere Leben zerstören. Mit dieser Art Wahnsinn muss man wohl leben. Und kann man.

Alles erscheint möglich

Heimlich schwingt immer die Erleichterung mit: Unausgesprochen war von praktisch Allen keine individuelle Tat, sondern ein Terrorakt vermutet worden. Gut, dass es in der Nacht des Unwissens nicht ausgesprochen wurde.

Aber die Münchner Polizei brachte deswegen die Millionenstadt praktisch zum Erliegen, weil sie eben auch davon ausging, nach bestem Wissen und Gewissen davon ausgehen musste, dass es sich um ein organisiertes Attentat mit möglichen Weiterungen handeln konnte.

Noch in der Nacht der Ungewissheit hat sich der Riss gezeigt, der durch die Gesellschaft geht:

Viele erwarteten eine Tat des IS, wiesen jeden anderen Tatverdacht empört zurück. Ohne Fakten. Unausgesprochen haben es sogar manche erhofft, um einen brutalen Prozess der politischen Zuspitzung noch weiter zu treiben. Eine Tat wie ein Fanal, das gegen die Täter wirkt und die mit ihnen Zwangseingemeindeten.

Erleichterung bei der Willkommenskultur

Das andere Lager nicht minder – praktisch nirgendwo fiel auch nur im Nebensatz der IS-Verdacht. Die Lufthoheit über die Landschaft der öffentlich verbreiteten Wörter funktioniert; kein Verdacht wurde geäußert, jede Nähe oder fragwürdige Formulierung sofort angeprangert. Erleichterung herrscht, dass die Willkommenskultur – jedenfalls in dieser Nacht – nicht zerstört wurde.

Bemerkenswert, dass viele ausländische, vor allem angelsächsische Medien härter, auch vorurteilsvoller berichteten. Sie hatten keine Skrupel, über angebliche „Allahu akbar-Rufe“ zu berichten. In Deutschland verzichtete man darauf. Ein falscher Verdacht wirkt wie Benzin, das auch über den Rufer gekippt werden kann. Deutsche Medien wirken seltsam vorsichtig und gedämpft; man mag es gut finden oder nicht. Die Debatte wandert ab in die sozialen Netze und wird dort geführt. Sie dort zu beenden, wirkt streckenweise wie Vorstufe von Zensur. Vertrauensbildend ist das nicht. Freie Presse und ausgetragene Konflikte wirken letztlich weniger zerstörerisch als Nicht-Sagen. Wer meint, man könnte eine Debatte so zu Ende bringen, täuscht sich. Schweigen nährt nur den Verdacht und Verdächtigungstheorien.

Dass ausländische Staatsmänner von Hollande bis Obama den Deutschen Solidarität zusicherten, zeigt: Auch dort erwartete man einen anderen Ausgang und hielt ihn für wahrscheinlich.

Verantwortung – abgeschoben

So weit der Befund. Aber er zeigt auch, dass sich in Deutschland zwei Lager gegenüber stehen. Das eine Lager schiebt die Verantwortung der Masseneinwanderung zu; gerade beim Attentäter von Würzburg sehen sie sich bestätigt. Nicht nur durch die brutalen Axtschläge auf chinesische Touristen – mehr noch durch das Sichtbarwerden des offenkundigen Kontrollverlusts der Sicherheitsbehörden. Nichts wissen wir vom Attentäter; seine Identität selbst erfunden, niemals kontrolliert und überprüft. Sein Alter ungewiss wie sein echter Herkunftsort; trotz intensiver Integrationsbemühungen – ein abscheuliches Verbrechen als Dank für Hilfe und Großzügigkeit.

Das andere Lager sieht sich durch den Amoklauf in München bestätigt, dass es eben nicht zu diesem Zustand der Wehrlosigkeit gekommen ist. Die Polizei reagiert schnell und entschieden. Kein Grund also, von der bisherigen Politik des Laissez faire und der Offenheit abzurücken. München wird heimlich gefeiert als Exkulpation für Würzburg. Manche, auch wir, schlossen einen rechtsradikalen Hintergrund nicht aus. Auch das ist Ausdruck des tiefen Misstrauens.

Beide Lager lauern unausgesprochen auf den nächsten Vorfall. Die Geschichte ist nicht ausgestanden. Sie hält nur inne.

Man mag sich keinem der Lager anschließen. Aber es zeigt, wie gespalten das Land ist. Wie es sich verändert hat.

Es waren ja Bilder, die man nur in den USA für möglich hielt, wo Amokläufe dann und wann passieren. Dann klopft man sich gerne auf die Schulter angesichts der Unzivilisertheit unserer langjährigen Schutzmacht und verweist auf deren laxe Waffengesetze.

Jetzt kann uns Präsident Barack Obama seine Hilfe zusichern. Es klingt wie eine Revanche für zu selbstgewisse Überheblichkeit.

Jetzt sieht man, dass es nicht Waffengesetze sind, sondern psychische Verfasstheiten, die sich immer irgendwie irgendwelcher Waffen bemächtigen oder Gegenstände dazu machen können.

Die Spaltung der USA – sie wiederholt sich in Deutschland. Deutschland wird bunter und damit wird es amerikanischer: Gewalttätiger in den Auseinandersetzungen, unversöhnlicher. Die Spaltung wird sich entlang der ethnischen und in der Folge auch sozialen Bruchlinien verschärfen. Die sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen hiesigen Erdogan-Anhängern und seinen Gegnern sind nur der Anfang.

Manchmal hilft Rückblende:

In den Jahren des RAF-Terrors war die Spaltung der heutigen nicht unähnlich. „Klammheimliche Freude“ über die Attentate gehörte zum universitären Chic der Linken und 68er. Die RAF konnte sich lange auf Unterstützung bis in Professoren- und Intellektuellenkreise stützen. Ihr Werk galt vielen als zu schmutzig, aber fortschrittlich.

Bundeskanzler Helmut Schmidt hat damals die Gesellschaft formiert – auch mit scharfen Gesetzen und innerer Aufrüstung der Sicherheitsorgane.

Diesmal wird das nicht gelingen, denn die Bundesregierung ist ja für einen Teil des Kontrollverlustes verantwortlich: Nicht-Kontrolle an den Grenzen, nach wie vor Hunderttausende in Städten und Dörfern, deren Identität nicht überprüft oder auch nur hinterfragt wird – ein einmaliger Vorgang. Das verlorengegangene Sicherheitsgefühl wiederherzustellen – wem soll das gelingen? Wer überzeugt da nach dem Versagen der letzten Jahre und der Problemverleugnung? So wird man bei jedem Knall wieder erschrecken und das Schrecklichste befürchten, das Unaussprechbare.

Helmut Schmidt ist es gelungen, die gesellschaftliche Mehrheit hinter sich zu bringen. Durch seine Härte und Entschlossenheit im Handeln, seine sichtbare Verletzlichkeit in Folge der Schwere der Verantwortung, durch treffende Worte.

Derzeit dagegen schlingert Deutschland. Der Graben wird tiefer, statt überwunden zu werden. Beide Lager steigern sich eher in Hass und Unversöhnlichkeit.

Das Lager der Gegner der derzeitigen Regierungspolitik ist zu groß, als dass man es ausgrenzen könnte, wie es lange versucht wurde. Versöhnen, nicht spalten wäre die Devise. Aber wer und wie? Diese Vertrauenskrise ist die tiefste Krise der Regierung Merkel und Gabriel. Mit „Wir schaffen das“ ist es nicht getan.

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