Wort und Unwort des Jahres

Der objektive Problemhaushalt ist in den drei Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz durchaus ähnlich, allein der Umgang damit nicht. Was die unterschiedliche Wahl von Wort und Unwort recht anschaulich ins Bild setzt.

Wenn das nicht versöhnt: Bundespräsidentenstichwahlwiederholungsverschiebung ist das Wort des Jahres in Kakanien. Über sich selbst lachen zu können ist Kunst und Tugend. Das kaiserlich-königliche Unwort 2016 lautet Öxit. Auch das entspannend im Vergleich zum chronisch humor- und witzlosen Germanien.

Das Land der Musterschüler und Oberlehrer tut es beim Unwort des Jahres nicht unter Volksverräter. Da lacht und schmunzelt nichts. Schwer dröhnt der Stiefel auf dem Pflaster. Dagegen fällt das Wort des Jahres postfaktisch fast unhörbar leise aus.

Filterblase ist das Schweizer Wort 2016, Inländervorrang light das Unwort (bei dem es um Einwanderungsquoten geht – für Nicht-Schweizer kompliziert).

Der objektive Problemhaushalt ist in den drei Ländern durchaus ähnlich, allein der Umgang damit nicht. Was die Wahl der Worte und Unworte recht anschaulich ins Bild setzt. Deutsch sein heißt interessanter Weise auch in Zeiten der „kulturellen Hegemonie“ der Grünen (Winfried Kretschmann) in ungebrochener Tradition: Was wir machen, ist nicht entscheidend, solange wir es perfekt tun. Zu Jahresbeginn und nach einem Geburtstag kann ich es Ihnen ja verraten: Wirklich Österreicher bin ich erst in Deutschland geworden.

„Volksverräter“ ist ein ganz anderer Härtegrad als „Lügenpresse“ 2014 und „Gutmensch“ 2015. Wer in der Nazizeit als „Volksverräter“ denunziert wurde, auf den wartete der Tod: Das allein sollte Grund genug sein, das Wort zu meiden, egal wo man politisch steht. Allerdings ist sein öffentlicher Gebrauch heute, der sich wohl nur in den „sozialen“ Medien einigermaßen messen lässt und in Leserkommentaren, nicht massenhaft, anders als bei „Lügenpresse“ und „Gutmensch“. Weshalb das Wort es dennoch zum Unwort 2016 „geschafft“ hat, bleibt eine Frage an die Entscheider. Eines ist sicher: Damit wird das Schandwort bekannt, nachsprechbar, es wandert aus den Ritzen in die Sprechräume. Es wird vervielfältigt im großen sprachlichen Multiplikationskopiergerät. Es findet, was es nicht hatte: Bedeutung und Nachahmer. Nichts zum schmunzeln, sondern weinen. Charme hat die österreichische Lösung, Scham passt zur deutschen.

Schaue ich gerade zu Jahresbeginn auf unsere öffentliche und veröffentlichte Welt, fällt mir nach vielen Begegnungen mit ganz „normalen“ Zeitgenossen zwischen den Jahren auf, dass der Schlagabtausch zwischen „Links“ und „Rechts“ in den Eliten fernab von ihnen, vom Volk, stattfindet. Beruhigend und beunruhigend zugleich.

Das einzige der genannten Worte und Unworte, dem ich bei meinen Spaziergängen bei den „Normalos“, im Netz und gedruckten Wörtern zwischen den Jahren hin und wieder begegnete, war übrigens „Lügenpresse“. Ins Zentrum eines Gesprächs schaffte das Wort es nicht. Das lässt hoffen.

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