Unionskrise und Kanzlerdämmerung. Quo vadis, CDU?

Selbst wenn es der alternativlosen Merkel mangels tatsächlicher, personeller Alternativen gelingen sollte, sich über die Legislaturperiode zu retten – sie ist dabei, „ihre“ Partei alternativlos radikal zu vernichten. So kann aus Kanzlerdämmerung nach dem kommenden Sonntag schnell Parteiendämmerung werden – denn die SPD ist bei Licht betrachtet noch viel übler dran. Parteiendämmerung aber kann sich zur fundamentalen Demokratiekrise entwickeln.

Bettina Hagen "Angie oder die Frau mit den zwei Gesichtern" Acryl auf Leinwand - 60 x 80 - 2005/10

Möchten Sie, lieber Leser, gern einmal das Ihnen sonst nur noch aus den unsozialen Medien des Internets bekannte Gefühl der Klassenkeile live erleben? Suchen Sie den kleinen Adrenalinschub und das beglückend-entspannende Gefühl, einer ernsthaften Bedrohung gerade noch mit viel Glück entronnen zu sein?

Wenn dem so sein sollte, dann empfehle ich Ihnen einen Besuch bei einer der sicherlich auch in Ihrer Nähe stattfindenden Parteiveranstaltungen der CDU. Setzen Sie sich dort still und zurückhaltend irgendwo ins Mittelfeld der Anwesenden. Dann warten Sie während des Berichts des Versammlungsleiters auf einen kurzen Moment allgemeiner Stille und Besinnung und sagen Sie die drei Wörter „Wir – schaffen – das!“. Alles weitere ergibt sich von selbst – und sie werden spät abends erschöpft aber glücklich, einer tödlichen Gefahr entronnen zu sein, ins Bett fallen.

„Alternativlos“ zum „Wir schaffen das“

Diese drei Wörter aneinander gereiht stehen in der Union wie nichts anderes für den Blindflug der Kanzlerin und Parteichefin. Waren es bis vor kurzem noch die Raute und das Mantra-artig wiederholte „alternativlos“, mit dem Angela Merkel mehr sich selbst als ihre Politik zu definieren suchte, so ist es ihr innerhalb weniger Wochen gelungen, das von der Parteibasis als Dokument des Versagens ihrer Politik wahrgenommene „Wir schaffen das!“ gleichzeitig zum Unwort und zum Kanzlersynonym werden zu lassen.

Die Stimmung im Parteivolk ist so schlecht wie nie zuvor. Selbst langjährige Getreue, die bei Sturm und Eisgewitter im Wahlkampf auf der Straße standen, denken laut hörbar darüber nach, bei der nächst passenden Gelegenheit die AfD zu wählen. Nicht, weil sie sich in irgendeiner Form mit den kruden Vorstellungen, die die Protagonisten dieser Partei verbreiten, identifizieren würden – einfach nur deshalb, damit – so wörtlich „die da oben in Berlin mal was merken“.  Denn das tun sie aus Sicht der Parteibasis seit einiger Zeit überhaupt nicht mehr.

Patrioten statt „hassrülpsender Pöbel“

Nur noch jene, die als Bundestagsabgeordnete allwöchentlich gekaudert werden, versuchen verzweifelt, das Hohelied der alternativlosen Politik zu singen. Doch auch sie werden leiser, denn bei jeder Konfrontation mit ihrer eigenen Basis wächst die Befürchtung,  bei den nächsten parteiinternen Nominierungsrunden selbst nicht mehr alternativlos zu sein. So sehr Unionsanhänger im Allgemeinen gesittet sind und eine natürliche Hochachtung vor den Leistungen ihrer Führung mitbringen, so sehr gleiten sie derzeit in die Heimatlosigkeit. Jene, die sich bislang innerhalb der Union in der Mitte verorteten, bekennen offen, sich an den rechten Rand gedrängt zu fühlen. Die vom alten rechten Rand der Union sind mittlerweile ohnehin zumindest mental bei der Gauland-AfD. Und selbst die vom progressiven Unionsflügel sehen „ihre“ Kanzlerin, der sie über Jahre die Treue hielten und deren Schwarz-Grün-Avancen sie aus tiefster Überzeugung unterstützten, irgendwo im Nirwana zwischen Sozialdemokratie und Grünalternativen entfleuchen.

Anders als dieser „hassrülpsende Pöbel“, der in seiner geschichtslosen Pseudointellektualität in der linksalternativen „taz“ über Deutschland als „ein Land, das auf der Karte so aussieht, als hätte jemand in die Mitte Europas gekotzt, eine stinkende und stickige Lache Erbrochenes“ geifert und von „Sachsens inzestuösen Dörfern“ schwafelt, sind Unionsanhänger bekennende Patrioten. Sie lieben ihr Land und sind stolz auf das, was nach dem Zusammenbruch 1945 mit ihrer Hilfe daraus werden konnte. Auch sind sie aufrechte Europäer – zumindest in dem Sinne, wie diese großartige Idee einst von Charles de Gaule, Alcide de Gasperi, Konrad Adenauer und anderen, vom europäischen Bruderkrieg gezeichneten Staatsmännern aus der Taufe gehoben wurde. All das sehen sie nun ebenso bedroht wie ihre Grundüberzeugung, dass Deutschland ein in christlicher Tradition stehendes, den Werten der Aufklärung verpflichtetes Land ist, das sich zwar gern von fremden Kulturen bereichern lässt, nicht aber von diesen übernommen werden darf. Die Anhänger der Union teilen hier die Auffassung ihres „Einheitskanzlers“, der seiner Nachfolgerin jüngst vorwarf, das europäische Projekt zu zerstören.

Die Gefahr an der eigenen Spitze

Orteten die Unionsanhänger dereinst die Gefahren für ihre Grundüberzeugungen einerseits im internationalistischen Sowjetimperialismus, in dessen Fußstapfen mittlerweile für jeden erkennbar der einen hybriden Krieg gegen Europa führende russische Präsident getreten ist, und andererseits bei jenen von einem sozialistischen Wolkenkuckucksheim träumenden Kollektivisten des linken Parteienspektrums, so erkennen sie die Gefahr mittlerweile an ihrer eigenen Spitze. Merkel, so sehen das die meisten, ist nicht länger eine von ihnen. Ein langjähriger Aktivist aus dem mittleren Parteimanagement bringt es mit folgendem Satz auf den christdemokratischen Punkt: „Wenn eine von der Union gestellte Kanzlerin nur noch von Sozis und Grünen gelobt wird, dann ist irgend etwas schief gelaufen.“ Wie „schief gelaufen“, das wird sich spätestens am kommenden Super-Sonntag erweisen, wenn in drei Bundesländern ein neuer Landtag gewählt wird.

Keine Macht für Niemanden

Glauben wir den beim ZDF veröffentlichten Prognosen, dann wird es in Baden-Württemberg gerade einmal für Platz zwei hinter den Grünen reichen. Das werden die Unionsanhänger noch verschmerzen können, denn als Juniorpartner des kuscheligen Apo-Opas Winfried Kretschmann können sie allemal ebenso gut leben wie mit einem Spitzenkandidaten, der nicht nur optisch an die größte ministerpräsidiale Fehlbesetzung der eigenen jüngeren Geschichte namens Stefan Mappus erinnert.

Dramatischer sieht es schon in Sachsen-Anhalt aus. Dort könnte es selbst mit der an Auszehrung leidenden SPD nicht mehr für das Amt des Ministerpräsidenten reichen. Aus Unions-Sicht einzig tröstlich: Dank einer derzeit bei 17 Prozent verorteten AfD ist eine linke Mehrheit unter dem an den Räuber Bill Bo der Augsburger Puppenkiste gemahnenden PdL-Spitzenmann Wulf Gallert mittlerweile absolute Utopie.

Am härtesten treffen wird es die eloquente Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz, Julia Klöckner. Ihr, die nicht nur in den eigenen Reihen als Kanzlerinnen-Alternative gesehen wird, scheint es zwar nach Stand der Dinge zu gelingen, das Unionsergebnis von 2011 weitgehend zu halten – der Durchbruch zu einer dominierenden Mehrheit gegen die diskussions-verweigernde Ministerpräsidentin Malu Dreyer wird ihr jedoch versperrt bleiben. Dennoch darf allein schon ein Klöckner-Ergebnis über 30 Prozent als persönlicher Erfolg gewertet werden: Ihr farbloses Pendant aus Baden-Württemberg muss gegenwärtig einen Verlust von fast zehn Prozent  erwarten. Deutlicher kann der Wähler die personellen Fehlentscheidungen von Landesparteien kaum bestrafen.

Noch Luft nach oben – für die AfD

Ob es allerdings tatsächlich so kommen wird, ist derzeit alles andere als ausgemacht. Nicht nur, dass gerade Protestwähler erfahrungsgemäß vor den Wahlen ungern ihre zeitweilige Präferenz dann offenbaren, wenn ihr Wahlziel einer öffentlichen Anti-Kampagne unterliegt, und daher noch viel Luft insbesondere für die AfD vorhanden ist – auch erklären im Ländle 51 Prozent der Befragten , sich noch nicht entschieden zu haben (S-A = 45 %, Rh-Pf = 42 %). Damit werden die prognostizierten Wahlprozente fast schon zur Makulatur, denn tatsächlich stehen in Baden-Württemberg nur 15 % der Wahlberechtigten hinter der CDU (Grüne = 16 %; SPD = 6 %; AfD = 5 %; FDP = 3 %; PdL = 2 %). Nicht viel besser sieht es in den beiden anderen Bundesländern aus.

Die Bindungen schwinden

In Rheinland-Pfalz bindet die Union derzeit real 20 Prozent (SPD = 20 %; AfD = 6 %; Grüne = 3 %; FDP = 3 %; PdL = 2 %) und in Sachsen-Anhalt 18 Prozent (PdL = 11 %; AfD = 9 %; SPD = 8 %; Grüne = 3 %; FDP = 2 %).

Das sind Zahlen, die nicht nur aufzeigen, wie schnell es der AfD gelingen könnte, noch weiter an die Spitze vorzudringen. Entschiede sich beispielsweise in Sachsen-Anhalt nur jeder zehnte der noch „Unentschlossenen“, die AfD zu wählen, so läge die Partei am Ende bei real 13 Prozent Zustimmung und könnte mit einem relevanten Stimmenanteil von 21 Prozent der gültigen Stimmen sogar die PdL überflügeln.

Noch deutlicher aber zeigen diese Zahlen auf, wie wenig Rückhalt die sogenannten etablierten Parteien der (linken) Mitte von Union bis Grüne heute haben. Im Südwesten stehen gerade noch 40 Prozent der Wahlberechtigten hinter ihnen. In Rheinland-Pfalz sind es 46 Prozent  – und in Sachsen-Anhalt sogar nur 31 Prozent  – nicht einmal mehr jeder Dritte.

Mediale Ungleichgewichte

Diese Entwicklung, die seit über zehn Jahren absehbar und vor der gewarnt worden war, zeigt deutlich, welch eine mediale Überbewertung insbesondere Splittergruppen wie der PdL – Die Linke zuteil wird, wenn ihre Chefpropagandistin Sahra Wagenknecht in gefühlt jeder zweiten Talkshow das große Wort schwingen darf. Tatsächlich aber sollte diese Entwicklung bei allen „Altparteien“ sämtliche Alarmglocken auf „Red Alert“ stellen, denn sie dokumentiert ein bis heute nie dagewesenes Misstrauen gegenüber der etablierten Politik.

Als ich vor einigen Jahren führende Unionspolitiker auf die Gefahr hinwies, die der Demokratie von diesem „Misstrauenspotential“ dann drohen kann, wenn dort ein charismatischer Volkstribun auftauche, wurde dieser Hinweis mit dem Argument, das sei „unpolitisch“, weil am Ende nur die abgegebenen, gültigen Stimmen zählten, vom Tisch gewischt.  Mittlerweile liegt das Kind im Brunnen. Für die Union bedeutet es: Kanzlerdämmerung.

Von der Kanzlerdämmerung zur Demokratiekrise

Selbst wenn es der alternativlosen Merkel mangels tatsächlicher, personeller Alternativen gelingen sollte, sich über die Legislaturperiode zu retten – sie ist dabei, „ihre“ Partei alternativlos radikal zu vernichten. Starrsinnig dokumentiertes Talkshow-Willen wird daran nichts ändern.

So kann aus Kanzlerdämmerung nach dem kommenden Sonntag schnell Parteiendämmerung werden – denn die SPD ist bei Licht betrachtet noch viel übler dran. Parteiendämmerung aber kann sich zur fundamentalen Demokratiekrise entwickeln – wobei: Die natürliche Evolution lehrt, dass unbesetzte Biotope schnell jemand Neues finden, der den ungenutzten Lebensraum zu nutzen versteht. Jenseits dessen, dass die AfD dieses gerade offenbar erfolgreich vormacht – warten wir also den kommenden Sonntag ab. Und dann – um mit kaiserlichen Weisheiten zu schließen – ja, dann schauen wir mal.

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