Alle Jahre wieder die Studie: Parteien verlieren Mitglieder

Je weniger die Parteien zur Mitgliedschaft motivieren können, desto maßloser werden sie in den Vorschriften für unser Leben, desto ausufernder wird ihre Politik der kollektiven Volkserziehung. Mitgliederverlust und Parteienanmaßung sind direkt proportional.

© Sean Gallup/ Getty Images

Jedes Jahr um diese Zeit präsentiert Oskar Niedermayer die ein Jahr alten Ziffern. Der Mitgliederschwund der Parteien geht weiter. Nun hat die SPD ihren lange, sehr lange stabilen Rang als die Partei mit den am Abstand meisten Mitgliedern verloren.

Manche Ziffern führen irre, etwa die der FDP. Sie kommt 1990 nur deshalb von 168.000 Mitgliedern, weil ihr durch den Anschluss der LDPD der DDR plötzlich 100.000 Mitglieder korporativ  zuwuchsen, die sie 2000 schon wieder los war.

Die Zahlenwüste des Parteienforschers mündet im politischen Befund: Die Parteien verloren von 1990 bis 2015 zusammen die Hälfte ihrer Basis – sie schrumpfte von 2,4 Millionen auf 1,2 Millionen. Hauptursache sei die Überalterung, schreiben die Medien. Wie bitte? Das ist die Wirkung. Die Ursache liegt darin, dass immer weniger in eine Partei eintreten und daher jene, die schon drin sind, den Altersdurchschnitt bestimmen: Der liegt zwischen 50 und 60 Jahren. Wer in die Alterstruktur der Wähler der Parteien schaut, findet dort das Abbild.

Je weniger Mitglieder und Wahlteilnehmer, je weniger Leser und Zuschauer, desto anmaßender

Aber der wirkliche politische Befund, der sich mir jedenfalls aufdrängt, ist ein anderer. Was die Parteien sich an Einmischung in Details unseres Lebens anmaßen, ist überhaupt keinem Schrumpfungsprozess unterworfen. Im Gegenteil, je weniger sie zur Mitgliedschaft motivieren können, desto maßloser werden sie in den Vorschriften für unser Leben, desto ausufernder wird ihre Politik der kollektiven Volkserziehung. Mitgliederverlust und Parteienanmaßung sind direkt proportional.

Der Subbefund: Die meisten Medien lassen das nicht nur geschehen, sondern stehen an der Seite der Parteien bis hin zur aktiven Parteinahme für die Einheitsfront von Bundestagsparteien, die jeden kritischen Bürger erschrecken muss. Eine so breite Front kann mit ihrer Einheitspolitik in praktisch allen wesentlichen und auch vielen unwesentlichen Fragen nicht richtig liegen. Sagt alle Empirie, sagt die Erfahrung und sagt dir mehr als jeder zweite Journalist, wenn kein Dritter zuhört. Fußnote: Die AfD ändert daran nichts. Ihre Wahlergebnisse messen, wie viele so zornig über die anderen Parteien sind, dass ihnen schweigen, wegschauen und nichtwählen als Ventil nicht mehr reicht.

Hajo Schumacher sagt in einem Gespräch mit Achim Winter, damals in den goldenen Zeiten des Printjournalismus, brauchte es extra lange Heftklammern, um den mit Werbung übervollen SPIEGEL überhaupt zusammenklammern zu können. Und der Werbeschef beschied Anzeigenkunden schon mal, melde dich in einem Jahr wieder. So ähnlich war es lange mit den Volksparteien. Heiner Geißler machte die CDU zu einer großen Mitgliederpartei, der SPD wuchsen die neuen Genossen über die Kollegen der Gewerkschaften lange automatisch zu. Hans-Dietrich Genscher verkalkulierte sich als Innenminister in seinem Bündnis mit der ÖTV ebenso wie mit der Entdeckung der Umweltpolitik: die angepeilten Wähler beider Zielgruppen wandten sich nicht der FDP zu.

Beide, die alten Medien und die alten Parteien, sind auslaufende Modelle. Print, Funk und Fernsehen haben auf das digitale Zeitalter bisher ebenso keine Antwort gefunden wie die Parteien. Beide sind nach wie vor mit Gesundbeten beschäftigt: garantiert eine Sackgasse.

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