Merkel und Pence in München: Alte und Neue Welt

Die neue Welt wird zunehmend wie die alte, aber die Zwischenkriegszeitler können sich nicht von vertrauten Illusionen lösen.

Alexandra Beier/Getty Images

Die Süddeutsche schickt voraus: „In ihrer Rede auf der 55. Münchner Sicherheitskonferenz verzichtet die Kanzlerin auf versteckte Botschaften und technokratische Schachtelsätze.” Der Abteilung Semantik im Kanzleramt wird nicht gefallen, dass Merkel also gemeinhin versteckt botschaftet und technokratisch schachtelt.

Doch völlig verzückt davon, dass Merkel solches einmal nicht täte, gerät das Mitglied SüZ bei den Gemeinwohlmedien ins Schwärmen: „Die Kanzlerin spricht Klartext. Die Amerikaner kriegen ihr Fett weg, die Russen, aber auch die Chinesen.”

„Ihr Fett weg.” Wow. Schau’n wir mal, wie fetthaltig die Äußerungen waren.

Die Kündigung des INF-Abrüstungsvertrages »sei wegen der russischen Vertragsverletzung „unabwendbar” gewesen, aber nun müsse es eben einen größeren Vertrag geben auch mit China.» Fett weg für Putin?

Bei Afghanistan »habe sie die „sehr herzliche Bitte”, über die Zukunft der Mission gemeinsam zu entscheiden.« Fett weg für Trump? Der wird zittern.

Merkel will das Abkommen zur Verhinderung einer iranischen Atombombe beibehalten. Fett weg für die Abkommensanhänger? Das Abkommen, das immer nur daraus bestand, dass es bestand, aber nichts löste oder auch nur regelte?

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Merkel appelliert für den Multilateralismus, »schwierig, aber in jedem Fall besser, Dinge „gemeinsam zu lösen”«. Hat der Multilateralismus je aus etwas anderem bestanden als aus teuren Konferenzen, Gipfel genannt und der ausschweifenden Berichterstattung darüber?

»Ja, sagt Merkel, viele der heutigen Strukturen in der Welt stammten aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie müssten reformiert werden. „Aber”, bittet die Kanzlerin, „wir dürfen sie nicht einfach zerstören”.«

Fett weg? Alles in allem sagte Merkel in München etwas sehr einfaches, recht Mageres: Bitte alles so lassen, wie es war, bis mir international Trump und national wie in der EU die zu widersprechen begannen, die meinen unilateralen Entscheidungen, also nationalen Alleingängen, nicht zustimmen und auch sonst nicht meiner Meinung sind.

Den entscheidenden Satz des Vizepräsidenten der USA, Mike Pence, zitiert die Süddeutsche Zeitung nicht einmal: „Wir werden mit der Welt umgehen, wie sie ist, nicht wie wir sie uns wünschen.“

Die sogenannte Nachkriegsordnung endete mit der Implosion der Sowjetunion, seitdem zerbröselt der Rest. Die Welt ist wieder dort, wo sie immer war, bei den Interessen, welche die Stärkeren besser durchsetzen können als die Schwächeren. Nur dass das jetzt zunehmend niemand mehr hinter multilateralistischem Gehabe verstecken kann.

Die stehenden Ovationen für Merkel im nostalgischen Bayerischen Hof in München, von denen fast alle Medien begeistert berichten, sagen über Merkel und ihre Ausführungen nichts aus, aber sehr viel über die nostalgischen Ovationäre der Welt von Gestern.

Die neue Welt-Unordnung
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Die UNO, lautet ein alter Satz, ist der Versuch der Schwächeren, sich gegen die Stärkeren durchzusetzen. Mit der Anmaßung der Funktionäre der Vereinten Nationen, in denen die große Mehrheit aus Ländern kommt, die weder Demokratie noch Herrschaft des Rechts kennen, die Weltherrschaft an sich zu reißen, hat der Mutilateralismus institutionell die Axt an sich selbst gelegt. Ob Merkel überhaupt weiß, für wen sie da spricht? Wohl nicht, denn die Funktionärsapparate in New York, Genf, Brüssel und Berlin wissen es ja auch nicht.

Dabei kann es jeder sehen, der will. Die Scheinwelt des Mulilateralismus löst sich auf. Hans-Dietrich Genscher sprach gern von liberaler Außenpolitik. Sein Vorgänger Walter Scheel, für den 1961 das Entwicklungshilfeministerium erfunden wurde, weil die Union der FDP das Außenministerium nicht geben wollte, sagte: Es gibt keine liberale Außenpolitik, nur deutsche. – Oder eben keine wie heute in Berlin. Fällt die Verpackung Multilateralismus weg, sehen alle, das Paket ist leer.

p.s.: Den skurillen Schluss des Artikels der Süddeutschen will ich Ihnen nicht vorenthalten – ist Merkel unter die Verschwörungstheoretiker gegangen?

»Als sie auf die hybride Kriegsführung und Einflussnahme der Russen zu sprechen kommt, bringt sie das indirekt in Verbindung mit den Schülerstreiks gegen die Klimapolitik. Deren Engagement begrüßt sie, aber dass die Schüler in so großer Zahl „plötzlich auf die Idee kommen“, auf die Straße zu gehen, das könne sie sich nicht vorstellen, sagt sie. Eine Äußerung ist das, die der Außenpolitikerin Merkel noch Ärger bereiten könnte – in der Innenpolitik.«

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Kommentare ( 47 )

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Falk Kuebler
5 Jahre her

Mal wieder einen RICHTIG schönen Artikel geschrieben, Herr Goergen!

Dafür sehe ich dem Päckchen TE/Goergen ansonsten doch wieder das eine oder andere nach…
🙂

der Doc
5 Jahre her

„…dass die Schüler in so großer Zahl „plötzlich auf die Idee kommen“, auf die Straße zu gehen, das könne sie sich nicht vorstellen“ sagt Merkel …

Skurril!
Die ehemalige Sekretärin für Agitation und Propaganda gibt vor nicht zu wissen, wie Agitation, Propaganda und Gehirnwäsche funktionieren.

Horst
5 Jahre her

Die Lawine, Herr Goergen, die Lawine!? Und nur Tauwetter um uns herum…

WU-Mitglied
5 Jahre her

Die Rede vor allem auf die Binse aufgebaut, daß alles mit allem zu tun hat. Dazu immer wiederkehrend und einleitend bei den Antworten in der Fragerunde: „Nationalsozialismus“ und auch „Israel als deutsche Staatsraison“. Ansonsten beginnt der „stehende Applaus“ in den hinteren Reihen, wo man manchen CDU-nahen sehen kann. Applaus für die Rede? Wenn inhaltlich begründet, wohl eher aufgrund des wohligen Gefühls des „Trump bashing“. Ansonsten: Entwicklungshilfe, Flüchtlingshilfe und mil. Ausbildungshilfe. Dazu braucht man natürlich keine einsatzbereiten Streitkräfte und weder 1,5 noch 2 % des BSP. Irgendwie antifaschistisch-bundesrepublikanisches Sprech, daß sogar von China lernen kann, Russland und den USA Gasabnahme garantiert… Mehr

Imre
5 Jahre her

Es ist aber doch schon bekannt, dass vor den Chinesen über viele Jahre hinweg andere „Marktteilnehmer“ die gleiche Verfahrensweise anwandten, oder?
Und die eingekauften Unternehmen haben die Chinesen mit echter und realer Wertschöpfung bezahlt, nicht mit einfach gedruckten Dollars bzw. abgegriffenen Tributzahlungen!!!

The Saint
5 Jahre her

So macht man Politik. Man bittet von Herzen..

Und die Infantilisierung geht immer weiter.

Gerro Medicus
5 Jahre her

Das letzte faule Ei, das Obama uns ins Nest gelegt hat, war die erneute Kandidatur Merkels 2017. Erinnern Sie sich? Merkel hielt sich die Kandidatur offen, sie wollte wohl den Ausgang der US-Wahlen abwarten. Dann kam Trump und sie verkündete immer noch nicht, was sie zu tun gedachte. Innerlich wollte sie wohl diese Konfrontation nicht. Doch da veröffentlichte Forbes sie auf der Titelseite mit dem Begriff „Mächtigste Frau der Welt“ und Obama kam zu Besuch. Und kurz danach verkündete Madame plötzlich „Ich kandidiere noch einmal!“ Ich kann mir vorstellen, was ihr Obama gesagt haben könnte: „Angela, Dein Werk ist noch… Mehr

Imre
5 Jahre her
Antworten an  Gerro Medicus

Dabei hatte sie die „edle“ Hillary in einer ihrer damals veröffentlichten E-Mails wenig anerkennend als „… blxxe Kxx mit einem Wiedergutmachungskomplex“ bezeichnet, so dass sinngemäß heute keine Atombomben mehr auf Europa eingeplant werden müssten….Wie konnte dieser Whistlebower aber auch nur dieses herrliche Gemälde von Friede, Freude, Eierkuchen verhunzen.

Hegauhenne
5 Jahre her

In puncto Jubelpresse muß man sich ja auch mal die Frage stellen,wer bezahlt das alles?
Wo und wie steckt ein Herr S. dahinter um Ecken und angebliche Recherche-Verbünde sowie Taktgeber und Worteinflüsterer?

Old-Man
5 Jahre her

Ja, lieber Fritz Goergen,auch Ich habe mich gefragt was die Tante Merkel da für einen Mist von sich gibt. War das jetzt die Wutrede einer manisch Depressiven,zumindest konnte man bei einigen Passagen den Anschein haben. Tante Merkel hat anscheinend noch immer nicht bemerkt das ihr Stern Rost angesetzt hat,das man weder in den Staaten noch in China oder sonstwo noch etwas auf ihr dümmliches Geplapper gibt. Frau Merkel muß nun leider einsehen und merken,das ein Donald Trump eben kein Obama ist,Trump benutzt die Axt,Obama versuchte es mit dem Florett,nur das Trump mit der Axt virtueller umgehen kann wie ein Obama… Mehr

martin ruehle
5 Jahre her
Antworten an  Old-Man

„… ohne Obama und Clinton wäre der Nahe Osten wohl heute noch stabil, …“

Ich teile Ihre Bewertung Merkels, darf Sie aber daran erinnern, dass der ohnehin schon fragile Zustand im Nahen Osten v.a. durch die Entscheidung der US Administration unter George W. Bush den Irak anzugreifen und Saddam Hussein zu stürzen, maßgeblich verursacht wurde.
Das macht die fundamentalen Fehler Obamas (Syrien, Iran, Afghanistan) und H. Clinton (Libyen) nicht besser.

Der Bauer in der Eröffnung des „Schachspiels des Teufels“ wurde von Bush „dem Geringeren“ gesetzt …!

Old-Man
5 Jahre her
Antworten an  martin ruehle

Ich gebe ihrem Einwand Recht,aber mein Hinweis zielte auf das Versagen des angezettelten Arabischen Frühlings,der dann durch die beiden und ihr Versagen erst zu dem Durcheinander das jetzt akut ist führte. In der Gesamtbetrachtung lag der Fehler aber schon beim Senior Bush,er und die Verbündeten hatten Sadam schon auf den Knien,vermieden aber ihn in den Staub der Geschichte zu schicken. Und zu guter Letzt war es ein schwerer Fehler sich überhaupt im vorderen Orient einzumischen,das hätten die „Brüder“ da unten unter sich ausfechten müssen,aber dem alten wie dem jungen Bush ging es nicht um die Freiheit,sondern nur um ihre Ölpfründe,und… Mehr

Kassandra
5 Jahre her

Jetzt beginnt es wohl langsam, überall zu knistern und es fällt schwer und schwerer, sich für seine bisherigen Taten auch nur im Ansatz noch zu loben.
Wo sie hinschaut: ungelöste Probleme. Und alle „alternativlos“ da sie in der Rückschau auch nicht bei nur einem erkennen kann, was sie hätte anders machen können.
Bisher war es so, dass sie dann schnell ein neues Fass aufmachte, um diese „Relikte“ erstmal vergessen zu machen…