Meinungsfreiheit: Anordnung zur Anpassung?

Wie unabhängig ist die Presse, wer nimmt Einfluß auf den Rundfunk? Aufregung über gängige Regelungen - ein Betroffener nimmt Stellung.

Meinen Äußerungen in einer Live-Sendung des Deutschlandfunk („Medienquartett“) folgen heftige Reaktionen. Ich werde zutreffend zitiert. „Auch im ZDF sagt der Chefredakteur: Freunde, wir müssen so berichten, dass es Europa und dem Gemeinwohl dient. Und da braucht er in Klammern gar nicht mehr dazusagen: Wie es der Frau Merkel gefällt. Solche Anweisungen gibt es und gab es auch zu meiner Zeit.“

Dazu einige Anmerkungen:

I.

Ich habe nicht „enthüllt“ und nicht „ausgepackt“. Was ich sagte, wissen die meisten. Und akzeptieren es. Und es ist geltende Rechtslage.

Dass meine Sätze als Regelverletzung ankommen, ich „der Lügenpresse-Fraktion gar nach dem Munde“ rede (Meedia), ist bezeichnend für das Regiment der Leisetreter und der Duckmäuser in den Sendern und der Verlogenheit der Debatte über die Rolle der Medien. Stefan Niggemeier hat in seinem Blog ausführlich aus Staatsverträgen und Programmrichtlinien zitiert und damit präzisiert und bestätigt, was dieser Tendenzschutz für ARD und ZDF bedeutet und was ich in der Diskussionsrunde freihändig formulierte. Allein diese Dokumente rechtfertigen den Vorwurf, eine individuell komplett freie, allein journalistischen Maßstäben folgende Berichterstattung ist im ZDF nicht immer möglich. Ist dann alles gut?

II.

In halbwegs normalen Zeiten haben solche Vorgaben tatsächlich keine große Bedeutung, weil sie so konsensfähig scheinen, dass sie fast jeder unterschreiben kann. In besonderen Zeiten aber wird das ZDF zum Gesinnungssender. Sagen wir es netter: Die Tendenz bricht durch. Ich fühle mich heute stark an die Zeit der sogenannten Wiedervereinigung erinnert. Der damalige Intendant forderte seine Redakteure schriftlich auf, im Sinne der „Vollendung der Einheit“ das Positive in den neuen Bundesländern hervor zu heben, das Negative möglichst nachsichtig zu übergehen. Für mich war die verordnete Blindheit ein Symptom von „Nationalrausch“ – so der Titel meines damaligen Buches. Journalismus hatte wieder einmal der Sache der Nation zu dienen. Nicht nur im ZDF. Für seinen Kommentar „Ich will nicht wiedervereinigt werden“ verlor SPIEGEL-Chefredakteur Erich Böhme seinen Job – gefeuert vom nationalistischen Herausgeber Augstein, der schon gegen Adenauers Westbindung gekämpft hatte. Tendenzschutz at its best.

Als DDR-Ministerpräsident Modrow in und von Bonn die Übernahme der gesamten DDR-Schulden forderte (Ende 89), und ich ein paar spöttische Anmerkungen dazu machte, wurde ich von meinem Intendanten zurecht gewiesen. Wörtlich: Aber Herr Modrow ist ein deutscher Patriot! Berichte und Kommentare über die Risiken der überhasteten Währungs- und Sozialunion waren im Sender quasi verboten. Ich verlor meinen Job als Studioleiter in Bonn. Die Frage in den öffentlich-rechtlichen Medien ist: Mischen sich die Aufsichtsgremien, die Räte und Fraktionen in den Räten, die ihnen genehmen Hierarchien zu sehr und zu einseitig ein? Ist die Binnenpluralität gefährdet, die eigentlich erst den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Daseinsberechtigung gibt? Das ist die entscheidende Frage.

III.

Tempi passati. Dachte ich. Aber Deutschland ist wieder in einem Ausnahmezustand. Die selben Mechanismen wie damals. Zweifel und Einwände an der Willkommens-Euphorie wurden und werden moralisch abqualifiziert. Auf dem Sender und hinter den Kulissen des Senders auch. Lange gab es nirgends Berichte zu sehen über Gewalt gegen Christen und Übergriffe gegen Frauen in Flüchtlingslagern. Das Positive sehen, das Negative übersehen! Ausgesprochen und unausgesprochen war es die Direktive. Es bedurfte gar keiner direkten Zensur von oben. Obwohl die Missstände längst evident waren.

Inzwischen kommt, Monate zu spät, mehr auf den Sender. Denn die Stimmung hat sich gedreht. Die Kanzlerin auch. Sie hat schon einen Drehwurm. Denn erstens kommt die Macht, zweitens die Moral. Wie verunsichert viele Redaktionen zwischen Anstaltspflicht und Journalistenpflicht waren, wurde nur gelegentlich sichtbar. (Etwa als heute+ hilflos das Publikum um Rat bat: Wie sollen wir über Köln berichten?) Man will den Mächtigen gefallen und zugleich der Masse. Was aber, wenn die Mächtigen vorübergehend an der Masse vorbei regieren? Da werden die staatstragenden Sender hilflos und kommen nicht mehr mit.

IV.

Zur Zeit der sogenannten Wiedervereinigung waren die Skeptiker und Kritiker hoffnungslos in der Minderheit. Die Kritiker der Merkelschen Migrationspolitik sind es nicht. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Was tun? Am Besten, man schaut nun nur noch auf die Quote. Sie schützt ja auch vor den Qualen der Politik. Während der politisch wilden Wochen von Mitte Dezember bis heute fiel zum Beispiel im ZDF das politische Magazin Frontal sechs Mal aus. Programmplaner nennen das unter anderem „Feiertagsprogrammierung“. Eine hübsche Metapher. Kann auch als Synonym für Beschönigung genommen werden. Zum Glück fängt die Championsleague wieder an. Dann trifft es den politischen Journalismus wieder regelmäßig. Das “Wintermärchen“ (ein Wort, das mühelos mit Realitätsverweigerung übersetzt werden könnte) Handball schob gestern den Bericht aus Berlin aus dem Programm. Es trifft eben immer den politischen Journalismus. Die Herrschaft der Quote darf im ZDF (wie auch in der ARD), nicht in Frage gestellt werden. Auch deshalb ist das Fernsehen eine Simplifizierungsmaschine geworden. Emotionen zählen mehr als Argumente.

V.

Die Redakteure blättern nicht täglich in Staatsverträgen. Aber in Redaktionskonferenzen erinnern die Oberen durchaus an die ideellen Leitlinien. Wer etwa wie im ZDF vom Chefredakteur gesagt bekommt, er möge Europa dienen, denkt natürlich automatisch an Merkels altes Mantra: Scheitert der Euro, scheitert Europa – und ans neue Mantra dazu: Scheitert Schengen, scheitert Europa. Entsprechend kritiklos werden die Regierungsparolen angenommen. Mein umstrittenes Buch „Die Gefallsüchtigen“ beschreibt das Regiment von Stimmungen in Politik und Medien. Es kritisiert die Versimpelung des Diskurses. Natürlich auf Wunsch von oben. Dazu braucht der Untertan keine schriftliche Anweisung.

Angewiesen worden aber ist er doch. Wobei in der Flüchtlingsfrage gilt: Es war oft genug ein vorauseilendes Einschwenken auf die Tendenz; viele Redakteure haben sie von sich aus so gewollt. Nicht nur beim ZDF. Viele Medien und Journalisten von sich aus auf diesen Blickwinkel als den allein richtig schreibenden eingenommen. Das ist ja der eigentliche Grund für ein weiterverbreitetes Misstrauen in der Öffentlichkeit: Es war (fast) nur noch eine Tendenz zu sehen und zu hören. Die Pressefreiheitstheorie in Deutschland allerdings geht davon aus, dass sich viele wiedersprechende Tendenzen kreuzen und dem Konsumenten so die Entscheidungsfreiheit lassen. Aus der Gleichrichtung der Tendenzerei erst entstand die Frage nach dem großen Gleichrichter. Und Journalisten weisen die Suche nach dem Gleichrichter empört zurück, weil sie sich „freiwillig gleichgeschaltet“ haben, wie Evelyn Roll es übrigens lange vor diesen Ereignissen benannt hat.

VI.

Die Freiheit ist nicht in Gefahr durch Unterdrückung, sondern durch Anpassung. Darum geht es. Wer das für Gequassel und Unfug hält, hat nichts kapiert und gefährdet seine journalistische Arbeit, die ja immer auch vom Zuschauer und Leser honoriert werden muss. Es scheint, dass manche Journalisten über die Bedingungen ihrer Arbeit nicht so gerne nachdenken; lieber verlangen sie ständig von ihren Kunden Beifallsbekundungen und bloß keine Kritik. Die aggressive Art, wie mit dem Vertrauensverlust umgegangen wird, schafft kein Vertrauen. Das schafft nur eine offene Diskussion über die Bedingungen und Begrenzungen unserer Arbeit.

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