Kommissionschef Juncker fordert eine EU-Armee und alles nimmt das Placebo

Höchst vereinzelt weisen Journalisten darauf hin, dass eine EU-Armee keine Antwort auf die Defizite der europäischen Sicherheitspolitik ist. Ich habe noch immer die schlichte Erwartung, dass eine freie Presse Forderungen von Würdenträgern nicht einfach verbreitet, sondern kritisch begleitet. Juncker sagt europäische Armee, von der Leyen und andere Politiker finden das gut. Mehr erfahren Leser, Zuschauer und Hörer nicht.




Man muss kein Experte sein, um zu wissen, dass eine EU-Armee 20 Jahre bräuchte, bis sie in welchen Einsatz auch immer geschickt werden könnte. Allein der politische Willensbildungsprozess würde 10 Jahre dauern. Die Bundeswehr ist eine Parlaments-Armee. Nur der Deutsche Bundestag kann einen militärischen Einsatz beschließen. In den anderen EU-Staaten ist die Kriegskompetenz unterschiedlich geregelt. Wie soll das auf einen Nenner gebracht werden? Muss die Meldung von Junckers Vorschlag nicht mindestens die naheliegenden Fragen mit aufwerfen? Mitmenschen hätten sich auch ad hoc finden lassen, die dazu kompetent etwas sagen können.

Als sich ein Sachkundiger zur grundlegenden militärischen Problematik zwischen Russland und der NATO äußerte, griff das nach meiner Wahrnehmung niemand auf. Der frühere Oberst im Generalstab der Bundeswehr, Wolf Poulet erklärte in der FAZ, warum unsere Offene Gesellschaften zur „hybriden Kriegsführung selbst gar nicht in der Lage“ sind. Dabei sprach der Mann aus, was doch uns allen als Nichtexperten auch klar sein muss: Europa ist heute militärisch mehr auf Washington angewiesen als am Ende des Kalten Krieges.

Hybride Kriegsführung bezeichnet, was in der Ost-Ukraine stattfindet. Hybrid ist der Krieg dort, weil Russland und die Ukraine sich nicht den Krieg erklärt haben, es sich aber auch um keinen „normalen“ Bürgerkrieg handelt. Poulet verweist dazu auf einen Vortrag, den der russische Generalstabschefs Walerij Gerassimow Ende Januar 2013 vor der Jahresversammlung der Russischen Akademie für Militärwissenschaft hielt. Die Grenzen zwischen Krieg und Frieden würden sich im 21. Jahrhundert auflösen. Kriege würden nicht erklärt und verliefen so völlig ungewohnt, dass ein „blühender Staat in wenigen Monaten oder sogar Tagen in eine Arena für erbitterte bewaffnete Auseinandersetzungen verwandelt werden kann, dass er Opfer einer ausländischen Intervention werden kann und in Chaos, einer humanitären Notlage und Bürgerkrieg versinkt“.

In diesem Zusammenhang sagt Poulet: „Die systemische Asymmetrie zwischen Russland und den europäischen Nato-Staaten schlägt durch auf die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Konfliktführung. Eine hybride Operationsführung ist nur in zentralistischen Systemen durchführbar. Hybride Operationsführung verlangt die Gleichschaltung aller Medien zur Propaganda im Inneren und zur Ablenkung und Täuschung im Ausland. Die Konzentration aller Polizei, Militär- und Geheimdienstorgane auf eine abgestimmte und variable Operationsplanung.

Instrumentalisierbare gesellschaftliche Gruppen werden auf diffuse nationale Ziele ausgerichtet. Im Fall von Verweigerung und Kritik an den propagierten Zielen kann die Machtvertikale einschneidende Sanktionen verhängen, bis hin zur physischen Vernichtung, ohne dass die gleichgeschaltete Justiz jemals einen Täter findet.“

Nehmen wir diese äußerst kritische Analyse der Sicherheitslage, schauen auf das, was weit über den Euro hinaus von der Griechenland-Krise ausgehen kann, was sich in den Gesellschaften Europas an den politischen Rändern tut, wie die Mitte erodiert. Wer sein Bild vervollständigen will, lese Timothy Garton Ash, der Europa auseinanderbrechen sieht – in einer langsamen Tortur. Wir müssen nicht alles teilen, was er schreibt, und können optimistischer sein als er. Aber dass so viele unserer Medien ein so triviales Placebo wie Junckers EU-Armee einfach kritiklos verteilen, beunruhigt mehr als vieles andere.

Auf welcher Grundlage stimmen die Menschen bei kommenden Wahlen ab, wenn ihr Medienbild vor allem aus Hofberichterstattung besteht?




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