EZB – Schlecht leben mit Negativzinsen

Wir zahlen Geld an den Staat, wenn er einen Kredit bei uns aufnimmt. Anleihen für Billionen haben negative Renditen. Auf Dauer hat der Negativzins aber perverse Auswirkungen.

Würden Sie dem Staat Geld einfach so schenken? Sie geben ihm einen Kredit und bekommen am Ende weniger zurück. Ein schlechtes Geschäft, von dem man die Finger lässt – aber Sie tun es doch! Wenn Sie beispielsweise eine Lebensversicherung haben, dann sind Sie indirekt Besitzer von Anleihen mit negativer Rendite.

Inzwischen sind deutsche Staatsanleihen mit Laufzeiten bis acht Jahren ein Negativgeschäft. Inklusive aller Zinsen bekommt man am Ende weniger Geld zurück, als man eingesetzt hat. Für die zehnjährigen Papiere gibt es noch eine Mini-Positivrendite. Vergangene Woche war sie auf 0,11 Prozent gesunken, jetzt liegt sie minimal höher. Viele Beobachter halten es für gut möglich, dass die Rendite der Zehnjährigen in diesem Jahr erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik unter null sinken könnte.

Die große Geldflut und der Renditeverfall

Ein Hauptgrund für den beispiellosen Verfall der Zinsen weltweit ist die Geldflut der großen Notenbanken, die seit der Finanzkrise die Leitzinsen praktisch bei null halten und zugleich in Billionen-Umfang Anleihen kaufen. Das treibt deren Kurse in die Höhe und drückt umgekehrt die Renditen. Die Europäische Zentralbank hat vor einem Jahr mit ihrem umstrittenen Kaufprogramm angefangen. Anfangs war es auf 1,14 Billionen Euro angelegt, dann wurde es verlängert, so dass es bis März 2017 auf 1,5 Billionen Euro kommen wird. Inklusive der Reinvestition auslaufender Anleihen sind es sogar 1,8 Billionen Euro. An diesem Donnerstag könnte der EZB-Rat eine weitere Aufstockung in Richtung 2 Billionen Euro beschließen. Andere Zentralbanken haben teils noch mehr gekauft. Es kann wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die gewaltigen Kaufprogramme den entscheidenden Anteil am Renditeverfall seit letztem Winter hatten.

Zugleich bewirkt die EZB-Politik, etwa das „Whatever it takes“-Versprechen von Draghi, dass die Renditeunterschiede in Europa eingeebnet werden. Selbst hochverschuldete Länder wie Italien (Staatsschuldenquote 135 Prozent) können äußerst günstig neue Schulden aufnehmen. Bis zu einer Laufzeit von fast drei Jahren zahlt der römische Finanzminister gar keine positiven Zinsen, für die Zehnjährigen nur 1,4 Prozent.

Selbst höchstverschuldete Länder können Geld fast zum Nullzins aufnehmen. In Japan, das 250 Prozent Schuldenquote hat, sorgt die Zentralbank im Verein mit der staatlichen Postbank dafür, dass die Zinsen auf Mini-Niveau und teils im Negativbereich bleiben. Die Bank of Japan ist Hauptabnehmer der Staatsanleihen geworden, rund die Hälfte des Staatsdefizits wird durch die Notenpresse finanziert.

Etwas anders liegt der Fall der Schweiz. Dort hat die Notenbank die Zinsen auch für mehr als zehn Jahre in den negativen Bereich gedrückt, weil sie damit die Aufwertung des Frankens stoppen will. Insgesamt sind auf den internationalen Finanzmärkten Anleihen im gigantischen Volumen von 5,9 Billionen Dollar so bewertet, dass sie negative Renditen haben, haben jüngst die Ökonomen der Bank JP Morgan Chase ausgerechnet.

Aber warum kaufen Anleger freiwillig Papiere, die ihnen eine negative Rendite bringen? Sind Masochisten auf den Finanzmärkten unterwegs? Nicht unbedingt. Es kann rationales Anlegerverhalten sein, beim Kauf solcher Papiere auf steigende Kurse zu spekulieren. Aber wer die Papiere längerfristig bis zum bitteren Ende hält, der macht unweigerlich Verluste.

Institutionellne Anlegern fehlt Wahlfreiheit

Warum halten dennoch gerade die großen, institutionellen Anleger solche Papiere? Sie haben kaum eine andere Wahl. Die Regulierung schreibt zum Beispiel den Versicherungen vor, einen hohen Anteil ihrer Anlagen in als besonders sicher geltenden Papieren zu halten, vor allem Staatsanleihen und Pfandbriefe. Ökonomen haben für solche Regulierung, die einen in Niedrig- oder Negativzinsen zwingt, das Wort „financial repression“ geprägt. Nach dem Weltkrieg gelang es den westlichen Industriestaaten mittels „Finanzieller Repression“, ihre hohen Schuldenberge nach und nach abzutragen.

Die klassische Zinstheorie wird durch Negativzinsen völlig auf den Kopf gestellt. Denn diese Zinstheorie sagt, dass (positive) Zinszahlungen eine Entschädigung für den Konsumverzicht sind, den der Sparer leistet, der ein Darlehen gibt. Menschen haben eine Gegenwartspräferenz, so der österreichische Ökonom Eugen Böhm-Bawerk, der sich als einer der ersten systematisch mit Kapital- und Zinstheorie beschäftigte. Die Zukunft ist ungewiss, sie liegt im Nebel. Was wir heute besitzen, ist uns daher mehr wert als künftiger Besitz gleicher nominaler Höhe. Schließlich gibt es eine existentielle Unsicherheit: Leben wir überhaupt noch in ein paar Jahren, wenn der Kredit zurückgezahlt wird?

Der Zins ist nicht etwa der „Preis des Geldes“, wie oft gesagt wird, sondern der „Preis der Zeit“. Kann die Zeit einen negativen Preis haben? Bezahlen wir Geld dafür, damit wir auf etwas länger warten müssen?

Der reale Zins (abzüglich der Inflationsrate) ist zwar auch in der Vergangenheit immer wieder zeitweilig unter die Nulllinie gefallen, vor allem in jenen Jahren (etwa in den 1970ern), als die Inflationsrate überraschend stark stieg. Aber im längerfristigen Gleichgewicht geht die klassische Ökonomie davon aus, dass der Realzins positiv ist. Er entspricht auch in etwa der realen Wachstumsrate einer Volkswirtschaft. Da die meisten Länder der Eurozone wachsen, wenn auch nicht besonders stark, ist es schon seltsam, dass die Zinsen derart niedrig liegen.

Auch wenn man zugesteht, dass die demografische Entwicklung das Wirtschaftswachstum zunehmend belastet, gibt es doch immer noch Produktivitätswachstum (anders als jene Ökonomen sagen, die von „säkularer Stagnation“ reden); und positives Produktivitäts-Wachstum müsste zu positiven Zinsen für die Kapitalgeber führen. Dass die Zinsen derzeit bis in höhere Laufzeiten negativ sind, kann nur durch die Verzerrung durch die Notenbankpolitik erklärt werden.

Verzerrung der Vermögenspreise – wg. Notenbank-Politik

Sie bewirken nicht nur eine Umverteilung von den Schuldnern zu den Gläubigern, sondern eine höchst problematische Verzerrung der Vermögenspreise (Aktienkurse, Immobilienbewertungen) und der gesamten Wirtschaftsstruktur. Als die EZB im Januar 2015 das große Ankaufprogramm verkündete, schossen die Kurse für Anleihen und Aktien in die Höhe. Auch der Anstieg der Immobilienpreise in Deutschland hängt an den extremen Niedrigzinsen. Die Gefahr besteht, dass Niedrigstzinsen die Banken und Anleger in zunehmend riskante Bereiche drängt, was zu neuen Finanzblasen und dem Risiko einer neuen Finanzkrise führt.

Kurzfristig fühlt sich ein Niedrig- oder gar Negativzins aber für viele ganz angenehm an – sicherlich für alle verschuldeten Haushalte, Unternehmen und Staaten sowie für die Vermögenswerte-Besitzer. Auch aus Sicht der Konjunktur erscheint der Niedrigzins zunächst günstig, da sie vom Billiggeld stimuliert wird. Das Billiggeld wirkt aber wie Doping für eine Volkswirtschaft, das auf die Dauer große gesundheitliche Schäden verursacht. Denn der Zins verliert so seine Selektions- und Steuerungsfunktion.

Normalerweise beginnen Unternehmen nur solche Investitionsprojekte, die mehr Ertrag ausweisen, als sie die Finanzierung Zinsen kostet. Wenn der Zins null ist oder gar unter null liegt, können auch sinnlose Investitionen durchgeführt werden, die keinen positiven Ertrag abwerfen. Das ist aber volkswirtschaftlich schädlich, denn es werden Ressourcen für nicht-lohnende Projekte verschleudert. Durch das Billiggeld können sich ganze Unternehmen, die eigentlich schon tot sind, noch über Wasser halten und Ressourcen binden. Ökonomen sprechen von Zombie-Unternehmen. Auch Zombie-Banken werden durch die Billig-Refinanzierung der Notenbanken am Leben erhalten.

Wenn man über die schwache volkswirtschaftliche Performance Japans spricht, dass seit dem Platzen seiner Immobilienblase 1989/1990 nur schwaches Wachstum, stagnierende oder gar rückläufige Preise und Nullzinsen erlebt hat, dann darf man von der Zombie-Ökonomie nicht schweigen. Japan ist ein Paradebeispiel für eine Zombifizierung: Unrentable Unternehmen und Banken mit Unmengen faulen Krediten in der Bilanz wurden durch das Billiggeld weiter am Leben erhalten. Das hat die schöpferische Zerstörung (Schumpeter) der Marktwirtschaft, die auch von Konkursen lebt, außer Kraft gesetzt, Ressourcen wurden unrentabel gebunden oder für sinnlose Konjunkturprogramme auf Pump verschleudert. Das scheinbar billige Geld ist Japan damit teuer zu stehen gekommen.

In eine ähnliche Welt könnte uns in Europa die EZB-Politik führen, wenn sie Zombiebanken und Zombiestaaten finanziert, zwar akute Schmerzen einer Rezession vermeidet, doch unwirtschaftliche, dauerhaft nicht tragfähige Strukturen subventioniert, die eine Rückkehr zu mehr Wachstum verhindern. Die negativen Zinsen sind nicht nur ein ökonomisches kurioses Unding und ein Ärgernis für Sparer, sondern Zeichen einer perversen Entwicklung, die uns realen Wohlstand kostet.

Auf Dauer kann man die Finanzwelt nicht auf den Kopf stellen.

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