Doch keine EU-Satire-Kennzeichnungsplicht

Unsere gestrige Meldung von einer EU-Satire-Kennzeichnungspflicht war reiner Humbug. Ein Aprilscherz. Mehrere Leser haben uns gewarnt: Wir sollten die EU-Kommission nicht auf solche Ideen bringen. Zuzutrauen wäre es ihr doch. Das zeigt: So ganz daneben liegen wir mit unserem Scherz nicht. Unser Autor jedenfalls hatte ja eine wunderbare Begründung gefunden, warum es eine schiere Pflichtvergessenheit der EU-Kommission ist, dass es dies noch nicht gibt. So schreibt Prof. Wohlgemuth von Open Europe Berlin:

„Eine EU-Satirekennzeichnungspflicht ergibt sich zwingend aus der RICHTLINIE 2011/83/EU über „die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates“, die den europäischen Verbrauchern zur Genüge vertraut ist – mitsamt der dort genannten 67 Gründe, die für diese Richtlinie sprechen.“




Und er zitiert als Begründung aus der Richtlinie:

„Bevor der Verbraucher durch einen Fernabsatzvertrag oder einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag, durch einen anderen als einen Fernabsatzvertrag oder außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, sollte der Unternehmer den Verbraucher in klarer und verständlicher Weise informieren. Bei der Bereitstellung dieser Informationen sollte der Unternehmer den besonderen Bedürfnissen von Verbrauchern Rechnung tragen, die aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Behinderung, ihrer psychischen Labilität, ihres Alters oder ihrer Leichtgläubigkeit in einer Weise besonders schutzbedürftig sind, die für den Unternehmer vernünftigerweise erkennbar ist. Die Berücksichtigung dieser besonderen Bedürfnisse sollte jedoch nicht zu unterschiedlichen Verbraucherschutzniveaus führen“:

Eben. Die Richtlinie ist zwar nach Artikel 3 Absatz 3 Ziffer 3 nicht auf Finanzdienstleistungen anwendbar (für Leichtgläubigkeit in diesem Bereich sind andere Richtlinien und inzwischen federführend die EZB zuständig). Aber jeder vernünftige Mensch und selbst ein Jurist sollte die Erstreckung der Rechtsfolge dieser Norm auf Satire als Sachverhalt, der in unverantwortlicher Weise von ihrem Tatbestand vom Wortsinn her noch nicht erfasst wird, sowohl auf dem Wege der Analogie, der systematischen oder teleologischen Auslegung locker hinbekommen.

Noch eindeutiger wäre der Weg der juristischen „argumentum a minori ad maius“ oder „argumentum a fortiori“ etwa anhand des von Palermo bis Riga ebenso bekannten wie anerkannten Eintragungsantrags nach Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 509/2006 des Rates über die garantiert traditionellen Spezialitäten bei Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln.

Klar: wenn der Verbraucher schon so erfolgreich vor irreführender Kennzeichnung von Pizza Napoletana geschützt wurde, dann muss er es erst recht vor hinterlistiger Verfälschung der Wahrheit werden, die – so sie überhaupt in Umlauf gesetzt werden darf – doch wohl zumindest als „Satire“ gekennzeichnet werden muss. Nur zur Erinnerung und Empfehlung (aus S. 2 von 9) – ein Stück aus dem Tollhaus der Kommission, die allerdings vermutlich selbst zum Opfer einer Satiremeldepflicht werden würde. Lesen Sie, was eine Pizza Napoletana ist:

Die „Pizza Napoletana“ STG ist eine kreisförmige Backware mit variablem Durchmesser von höchstens 35 cm mit erhabenem Teigrand (cornicione) und mit Belag bedecktem Inneren. Das Innere ist 0,4 cm dick, wobei eine Toleranz von ± 10 % zulässig ist, der Teigrand ist 1-2 cm dick. Die Pizza ist insgesamt weich und elastisch und lässt sich leicht wie ein Buch zusammenklappen.Die „Pizza Napoletana“ STG hat als Merkmal einen erhöhten Teigrand mit einer für Backwaren typischen goldbraunen Farbe. Sie ist beim Anfassen und im Biss weich; ihr Inneres hat einen Belag, auf dem das Rot der perfekt mit dem Öl vermischten Tomate und, je nach verwendeten Zutaten, das Grün des Oregano und das Weiß des Knoblauchs ins Auge fallen; ebenso das Weiß der Mozzarella in mehr oder minder dicht beieinander liegenden Flecken und das durch das Garen mehr oder weniger dunkle Grün der Basilikumblätter.Die Konsistenz der Pizza Napoletana muss weich, elastisch und biegsam sein. Das Erzeugnis ist beim Schneiden weich, hat einen charakteristischen angenehmen Geschmack durch den Teigrand, welcher den typischen Geschmack von gut gegangenem und ausgebackenem Brot hat, kombiniert mit dem säuerlichen Geschmack der Tomate, dem Aroma von Oregano, Knoblauch oder Basilikum und dem Geschmack der gebackenen Mozzarella.Die Pizza verströmt nach beendetem Gärungsprozess einen charakteristischen aromatischen Duft. Die Tomaten geben nur das überschüssige Wasser ab und behalten ihre dichte Konsistenz. Die „Mozzarella di bufala campana DOP“ oder die „Mozzarella STG“ ist auf der Pizza-Oberfläche geschmolzen. Basilikum, Knoblauch und Oregano entwickeln ein intensives Aroma und sehen nicht verbrannt aus.“

So weit das Zitat.

Und jetzt verraten wir Ihnen die Wahrheit:
Die EU-Kommission ist schlimmer als jede Satire. Die Wirklichkeit hat die Möglichkeiten der Satire überholt.




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