Die Maut, die sich traut

Der österreichische Verkehrsminister Alois Stöger schrieb kürzlich, gestützt auf ein Rechtsgutachten der Uni Innsbruck, in einem Brief an die EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc in der Absicht, die ohnehin skeptisch eingestellte EU-Kommission gegen die deutsche Maut aufzustacheln: Die deutsche Maut sei zwar per se mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar, allerdings sei sie im Paket mit der gleichzeitigen gesetzlichen Herabsetzung der Kfz-Steuer in Deutschland, von der nur deutsche Autofahrer profitierten, diskriminierend. Wen diskriminierte denn das deutsche Maßnahmenpaket?




Natürlich österreichische Autofahrer oder alle anderen Autofahrer, die aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland kommen. Worin läge die Diskriminierung? Sie läge natürlich darin, dass Dobrindts Maut Ausländer allein aufgrund ihres Ausländerseins (Staatsangehörigkeit) benachteiligte. Eigentlich gibt es in der EU doch wohl gar keine Staatsangehörigkeiten, keine Ausländer mehr, sondern nur noch Europäer, oder? Aber in diesem „eigentlich“ liegt der Hase begraben.

Harmonisierung ist das wichtigste Thema der EU

In den 28 Mitgliedsstaaten der europäischen Union gibt es 28 recht unterschiedliche Wirtschafts-Steuer-und Rechtsordnungen, weshalb ja im Prinzip seit Gründung der EU und ihrer Vorläufer und Vorvorläufer, also seit über sechzig Jahren das Thema Harmonisierung, Gleichmachung im Raum steht. Das Thema Harmonisierung ist das wichtigste Thema der EU. Das wissen alle, aber wegen der kleinen nationalen Besonderheiten, Egoismen, Traditionen, Privilegien usw. ist Harmonisierung eher ein frommer Wunsch als Realität.

Da wurschteln also 28 Staaten vor sich hin und am Ende ist man erstaunt, dass bei allen existierenden Preisunterschieden die Coca Cola-Flasche, das Pfund Butter, der Damenrock, der Fernseher oder die Urlaubsreise in einem vergleichbaren Preisniveau liegen. In dem einen Land sind die direkten Steuern höher, die indirekten niedriger. In einem anderen Land ist es grad umgekehrt. Trotzdem schütteln sich die Dinge per Saldo, immer noch nicht genügend, aber doch erstaunlich gut zurecht.

Harmonisierung in der EU ist eine wesentliche Voraussetzung  für einen auf Wettbewerbsgleichheit basierenden Binnenmarkt, also für einen Binnenmarkt, der niemand diskriminiert, weil er im falschen Land lebt. Aber, wie gesagt, von Harmonisierung ist die Realität noch weit entfernt und es gibt umgekehrt sogar immer wieder aus konkreten Situationen heraus Systemeingriffe in dem einen oder anderen Land, durch die de facto Rückschritte in der Harmonisierung bewirkt werden.

Ein Harmonisierungskommissar müsste her, der eine Sonderrechtsstellung in der europäischen „Regierung“ haben müsste und der auch nationale Regierungen notfalls an die Kandarre nehmen könnte. Wer ein Einheitseuropa will, die Autorin gehört nicht zu jenen, müsste sich nicht nur einer theoretischen, sondern einer sehr praktischen Harmonisierung, vor allem der wirtschaftlichen Realitäten in den Mitgliedstaaten widmen. Glücklicherweise gibt es noch 28 gewachsene Strukturen in den Mitgliedstaaten, die sich dem Eurokratismus der sich weitgehend der öffentlichen Kontrolle  entziehenden (viel zu teuren) Brüsseler Behörden widersetzen. Nichts war schließlich schöner in Europa als die vielen unterschiedlichen, europäischen Kulturen.

Früher war der eingefleischteste Schwarzbrotfresser in Deutschland ein Baguetteliebhaber während seines Frankreichurlaubs. Heute schmeckt das Baguette weder in Frankreich noch in Deutschland wirklich gut und daran haben falsche Harmonisierungsphantasien einen großen Anteil.

Der Club der Euro-Elite

Innerhalb der Gruppe der 28 EU-Staaten gibt es den Sonderclub, den Eliteclub der 19 Euroländer, die nach der (weitergedachten) Lesart des österreichischen Verkehrsministers eigentlich ein Diskriminierungsverein der draußen bleibenden EU-Länder sein müssten. Selbst in den Euroländern, die sich auf eine Einheitswährung geeinigt haben, sind nicht nur die realen ökonomischen Verhältnisse, sondern auch die Rechtsordnungen so meilenweit von jeder Harmonisierung entfernt, dass die permanenten Funktionsstörungen des Euro zu einem auf absehbare Zeit nicht zu ändernden Dauerproblem werden mussten.

Länder unter eine Währung zu zwingen, deren Systeme viel zu sehr divergieren, das war der Euro-Wahnsinn, von den konkreten Konstruktionsmängeln des Euro, die allerdings wesentlich in der fiktiven Gleichheit der Systeme liegen, abgesehen. Erst eine Einheitswährung machen und dann hoffen, dass ein Einheitssystem entsteht, hieß das Pferd von hinten aufzuzäumen.

„Von der österreichischen Maut profitiert exklusiv der österreichische Staat“

Zurück zum Pfiffikus Alois Stöger. Stöger behauptet und das ist schließlich die Geschäftsgrundlage seines antideutschen, Anti-Dobrindt-Vorstoßes, dass seine, nämlich die österreichische Maut niemanden diskriminierte. Doch genau das ist diametral falsch:

Die österreichische Maut diskriminiert alle nicht österreichischen Autofahrer, die nach Österreich fahren. Denn schließlich zahlt jeder, der in Österreich auf der Autobahn fährt, die Maut. Aber von der österreichischen Maut profitiert exklusiv unter Ausschluss aller anderen Länder der österreichische Staat, also es profitieren alle Österreicher, jeder einzelne Österreicher von der österreichischen Maut und sonst niemand.

Das Geld fließt in den österreichischen Haushalt und aus diesem Haushalt werden die österreichischen Straßen, die österreichischen Kindergärten oder die österreichischen Staatstheater bezahlt oder subventioniert. Bei gleichbleibenden Ausgaben müsste der österreichische Staat ohne Mauteinnahmen andere Steuern erhöhen. Die österreichische Maut begünstigt den Staat Österreich und damit die Österreicher also wegen ihrer Staatsangehörigkeit. Wen denn sonst? Und das ist auch das erklärte Ziel der Maut.

Innerhalb des österreichischen Wirtschafts-und Steuersystems ist es nun sehr zufällig und in jedem Falle europarechtsirrelevant, ob die Einkommenssteuer einen Punkt rauf geht und die Mehrwertsteuer zwei Punkte runter, ob die Kfz-Steuer sinkt oder steigt, ob es eine Kfz-Steuer überhaupt gibt oder nicht, wie hoch die Mineralölsteuer ist, ob eine Steuereinnahme oder auch eine Mauteinnahme zweckgebunden ausgegeben wird, beispielsweise für eine Infrastruktur, oder ob sie in den allgemeinen Staatssäckel fliesst.

Die Frage, ob eine Steuer oder eine Subvention innerhalb Österreichs einer Gruppe von Österreichern Geld bringt und einer anderen Gruppe von Österreichern Geld nimmt, also die Frage nach Umschichtung innerhalb eines Landes, kann per se erst einmal nichts mit einer Benachteiligung oder Bevorzugung von Nicht-Österreichern, also von Deutschen in Deutschland oder Engländern in England zu tun haben.

Der Status quo, wieviel ein Autofahrer in seinem Land per Saldo für einen gefahrenen Kilometer bezahlt, hängt von vielen Faktoren ab, die permanenten Änderungen unterzogen sind. Nimmt man den Kaufpreis des Autos raus, hängen die Kilometerkosten von der Mehrwertsteuer, von der Mehrwersteuer auf Kraftstoff, von Kraftstoffsteuern, von Versicherungsbeiträgen, Versicherungssteuern und vielen anderen Kosten ab.

Ja, die deutsche Maut führt zu einer Besserstellung des deutschen Staates

So wie Europa konstruiert ist, wurschtelt jedes Land vor sich hin. Die einen wollen den öffentlichen Nahverkehr fördern und belasten die Autofahrer, andere glauben, dass Menschen so gern Auto fahren, dass sich keine Regierung traut, den Autofahrern weh zu tun. Da hat niemand das Recht sich aufzuplustern und zu stänkern, aber genau das macht jetzt der österreichische Verkehrsminister. Dabei hat er selber jede Gestaltungsfreiheit, seine Kfz-Steuer aus welchem Grunde auch immer zu senken oder anzuheben, ganz nach Belieben. Und genau das gleiche Recht hat jeder Verkehrsminister in Europa. Und zwar zu jeder Zeit, auch gleichzeitig mit dutzenden anderer gesetzlicher Regelungen, zum Beispiel der Einführung der Maut oder deren Anhebung oder Herabsetzung.

Würde Österreich seine Maut abschaffen, müsste es bei unveränderten Ausgaben irgendeine Steuer,  zum Beispiel die Kfz-Steuer anheben. Würde es die Maut wieder einführen, könnte es irgendeine Steuer, zum Beispiel die Kfz-Steuer wieder senken und dadurch zum Beispiel den heutigen Status quo des Pakets der österreichischen Maut und Kfz-Steuer wieder herstellen.

Ja, die deutsche Maut führt zu einer Besserstellung des deutschen Staates, der zusätzliche Einnahmen hat. Und ja, die deutschen Autofahrer profitieren gleichzeitig von einer Kfz-Steuersenkung. Mit dieser Maßnahme wird Waffengleichheit zwischen dem großen Steuereinzieher Österreich und dem großen Steuereinzieher Deutschland hergestellt. Und ja, die deutschen Kfz-Steuerzahler erhalten durch eine Senkung der Abgabe einen finanziellen Vorteil, den die österreichischen Autofahrer schon lange genießen, schließlich ist deren Kfz-Steuer dank der österreichischen Maut schon immer niedriger, als wenn es die österreichische Maut nicht gegeben hätte.

Eine Maut für Skilifte?

Sollte Österreich die Maut nicht direkt dazu verwenden, die Kfz-Steuer niedrig zu halten, sondern für die Subventionierung der Salzburger Festspiele einsetzen oder der Skilifte, dann wäre das eine innerösterreichische Entscheidung, zu der sich das Land gewiss und in jedem Falle zu recht jede Einmischung von außen verbitten würde. Die österreichische Maut schuf wie jede europäische Maut Ungerechtigkeiten.

Die österreichische Maut war eine europafeindliche Ungerechtigkeit. Diese wird durch die Einführung einer deutschen Maut gemildert. Die Vokabel „Diskriminierung“, deren sich die Gegner der deutschen Maut bedienen, gehört zu jener Gruppe von verkommenen Worthülsen, die permanent missbraucht werden, um nicht von einer pervertierten Verwendung des Wortes zu sprechen. Dass die deutsche Maut den Rest der Welt diskriminierte, ist geeignet böses Blut zu erzeugen, weil Ressentiments dem logischen Gedanken kontraproduktiv entgegen stehen.

Glashaussitzer sollten nie mit bösen Fingern auf andere zeigen, und das gerade nicht, wenn es um Europa geht. Europäisches Recht falsch einsetzen zu wollen, ist europafeindlich. Die deutsche Maut und die deutsche Kfz-Steuer haben jede für sich erkennbar nichts mit Europarecht zu tun und selbst in einer erklärten Kombination auch nicht.

Durch eine deutsche Maut gibt es keine Diskriminierung, die sich von der Diskriminierung jeder Maut – siehe oben – unterscheidet. Die Abschaffung aller Mautunsitten wäre ein überlegenswertes Ziel. Schließlich ist Freizügigkeit, die für jeden Menschen, aber auch für jeden Menschen an jedem Ort gilt, ein hohes Gut. Aber solange zum Beispiel Österreich wollüstig seine Maut erhebt und die Einnahmen in das eigene System einspeist, ist es das gute Recht aller Nachbarstaaten, auch eine Maut zu erheben und in das eigene System einzuspeisen und gleichzeitig innerhalb des eigenen Systems Änderungen vorzunehmen, wie sie jederzeit möglich sind.

Der Trick der Dobrindtgegner die Maut und die Kfz-Steuer aus einem komplexen Staatssystem heraus zu isolieren und damit auch aller Wechselwirkungen zwischen System und Einzelgesetz zu entziehen, ist bodenlos. Immerhin: Es ist ein schwerer juristischer Handwerksfehler ein Gesetz isoliert von Verfassung und Recht und Rechtswirklichkeit zu betrachten. Jedes Gesetz ist immer und ausnahmslos auch im Kontext des Rechtes zu sehen. Demnach ist es juristisch voll daneben, die von Dobrindt intendierte Herstellung von Rechtsgleichheit zwischen den europäischen Ländern, gar mit abwegigen Vokabeln wie Diskriminierung, zu beschädigen.

Grüne Antidiskriminierungs-Such-Partei

Die Bundesrepublik hat einen Nachholbedarf in Sachen Maut und nur weil die Wörter Diskriminierung und Antidiskriminierung furchtbar en vogue sind und ein allzu leichtfertiger Umgang mit diesen Wörtern üblich ist, ändert dies nichts an der Tatsache, dass die Vokabel im Fall der deutschen Maut voll daneben ist. Klar, dass die deutschen Grünen in ihrer gütigen Diskriminierungssucht , die sie als Antidiskriminierungspolizei-Mania verkaufen, wieder einmal voll dabei sind die Maut als deutsche Diskriminierung gegen den Rest Europas vorzuführen. 

In den alten Mautländern ist die Wegelagerergebühr voll in die heimischen Systeme eingepreist und niemand kümmert sich in Europa darum, wohin die Einnahmen fließen und inwieweit die Einnahmen direkt oder indirekt den Autofahrern der jeweiligen Mautländer zugutekommen. 

Gleiches gilt für die Bundesrepublik: Will sie eine Maut, kriegt sie eine Maut. Was sie mit dem Geld macht, ist ihre Sache. Und inwieweit sie Autofahrer aus welchem Grund auch immer entlastet, geht Niemanden etwas an. Bei einer Gesamtwürdigung des Sachverhaltes ist jeder Gedanke an eine Diskriminierung von Autofahrern aus dem Ausland völlig absurd.




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