Die Einschränkung der Freiheit

Anabel Schunke möchte sie nicht mehr lesen und nicht mehr hören: Die Erklärungen für das, was nicht zu erklären und schon gar nicht zu entschuldigen ist.

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Die Anschläge von Brüssel sind kaum 24 Stunden her, da wird in Teilen der deutschen Medien schon wieder eine Anleitung dafür herausgegeben, wie man damit umzugehen hätte. Man kennt sie, die obligatorischen „Das-hat-nichts-mit-dem-Islam-zu-tun“-Artikel. Vor allem eher linke Medien schlagen mit derlei Artikeln stets zwei Fliegen mit einer Klappe. Zum einen kann man sich einer notwendigen Islam-Kritik und allen Überlegungen hierzu, die letztlich auch die Flüchtlingspolitik betreffen würden, entziehen, indem man einfach beschließt, dass das nichts mit dem Islam zu tun hat. Zum anderen eröffnet dies zugleich die Möglichkeit, sich ausgiebig den anderen Ursachen von Terrorismus zu widmen und in diesem Zusammenhang zur innig geliebten Kapitalismuskritik zu greifen.

Die Frankfurter Rundschau spricht sich jedenfalls 24 Stunden nach den Anschlägen bereits „gegen hysterische und überzogene Reaktionen“ aus. Ein bisschen implizite Verschwörungstheorie darf es hierbei neben der generellen Kapitalismuskritik auch gerne sein. Man dürfe die Freiheit nicht zugunsten der Sicherheit einschränken. Diese Auffassung teile ich. So wie sie in manchen Artikeln jedoch vorgetragen ist, impliziert diese Aussage, die Anschläge würden irgendjemandem (den Regierungen) in die Hände spielen, da sie die Legitimation zu noch mehr Überwachung geben würden. Die eigentliche Frage, die sich mir statt dem verschwörungs-obligatorischen „cui bono?“ allerdings stellt, ist diese, wie viel Freiheit wir auch ohne Ausbau von Überwachung und Kontrollen derzeit überhaupt noch haben. Trifft Benjamin Franklins Aussage, dass der, der die Freiheit für die Sicherheit opfert, am Ende beides verlieren wird, in diesen Zeiten immer noch zu?

Freiheit und Sicherheit: quo vadis?

Um diese Frage zu beantworten, muss man sich erstmal fragen, an welchem Punkt wir mittlerweile stehen. Es herrscht eine generelle Angst vor Terroranschlägen. Nach Paris oder Brüssel wäre ich auch vor den gestrigen Anschlägen nur noch mit mulmigem Gefühl gefahren. Auch in deutschen Großstädten wie Berlin, Frankfurt und München fühle ich mich derzeit nicht mehr wirklich wohl. Natürlich ist es nicht so, dass ich dort 24 Stunden lang Angst habe, aber das mulmige Gefühl wird allmählich zum stillen unterschwelligen Begleiter an jedem großen öffentlichen Platz. Als im letzten Jahr die Anschläge von Paris passierten, war ich gerade selber auf einem Konzert. Drei Wochen später erneut. Richtig frei und unbeschwert habe ich mich nicht gefühlt. Im März 2015 war ich ebenfalls auf einem Konzert in Berlin. Da war das Gefühl noch ein vollkommen anderes. Da habe ich über all das nicht nachgedacht.

Die Frage, die sich hierbei stellt, ist also die, wie wir Freiheit für uns definieren. Natürlich hält mich auch jetzt keiner davon ab, weiterhin Konzerte und andere öffentliche Veranstaltungen zu besuchen und ich weigere mich auch, mich in dieser Angelegenheit selbst einzuschränken, dem Terror irgendeine Macht über mich zu geben. Aber das Gefühl hat sich geändert, die Angst ist da und es ist zu fragen, ob das nicht längst die so befürchtete Einschränkung der persönlichen Freiheit darstellt.

Der Liberalismus kennt nur eine Form von Freiheit und das ist die „negative Freiheit“. Negative Freiheit meint die bloße Abwesenheit von äußeren Zwängen. Die Vertreter des positiven Freiheitsbegriffes verweisen indes darauf, dass es für die Freiheit mehr braucht als die bloße Abwesenheit von äußerem Zwang. Dass Freiheit eben auch Freiheit zu etwas bedeutet. Es ist eine Definition, die auch psychologische Aspekte berücksichtigt, welche inneren Hindernisse uns vielleicht auch vom Gefühl, frei zu sein, abhalten können. Beide Begriffe kann man einer berechtigten Kritik unterwerfen. Reicht der negative Freiheitsbegriff zur Beschreibung dessen, was der Terrorismus mit uns macht, wie wir merken, nicht wirklich aus, liefert der positive Freiheitsbegriff die Legitimation für nahezu jede Anspruchshaltung des Menschen gegenüber dem Staat. Denn wenn Freiheit in mehr begründet liegt, als nur der Abwesenheit von äußeren Zwängen, dann liefert das bei aller Richtigkeit in manchen Bereichen des Lebens nicht zuletzt auch die Grundlage für jede wohlfahrtsstaatliche Forderung. Unweigerlich wird der Aufgabenbereich des Staates ausgedehnt. Von der Aufgabe, für alle Bürger einen einheitlichen rechtlichen und geschützten Rahmen zu schaffen zum Anspruch, jedem trotz aller Unterschiede, das Gleiche zu ermöglichen. Aber dies sei nur am Rande erwähnt.

Dennoch möchte ich hier an dieser Stelle dem positiven Freiheitsbegriff folgen, weil der negative die Problematik, die sich durch den Terrorismus ergibt, meiner Meinung nach nur unzureichend erklärt. Es ist wie so oft mit der Theorie. Sie lässt sich nicht immer problemlos auf alles anwenden. In der Praxis läuft es dann doch allzu oft auf Mischformen hinaus.

Nicht mehr wirklich frei

Folgt man also dieser Definition von Freiheit, so lässt sich feststellen, dass diese längst bei vielen Menschen empfindliche Einbußen erfahren hat. Jeder, der sich in diesem Augenblick gegen eine geplante Reise nach Brüssel, nach Paris oder auch in die Türkei entscheidet, schränkt sich selbst bereits in seiner Freiheit ein. Ob äußerer Zwang gar nicht vorliegt, spielt hierbei keine Rolle. Wer wie ich seit den Anschlägen von Paris mit einem mulmigen Gefühl zu Konzerten geht, dessen Freiheit ist ebenfalls bereits zumindest in Gedanken eingeschränkt. Denn ich fühle mich nicht mehr frei, nicht mehr unbeschwert bei diesen Aktivitäten, wenn ich daran denke, wie es wäre, wenn jetzt irgendwelche Terroristen das Gebäude stürmen würden. Es ist keine Freiheit, ein Konzert zu besuchen, wenn die Gedanken derart unfrei und beschwert sind.

In diesem Moment muss ich feststellen, dass mir das Gefühl von mehr Sicherheit, von mehr Überwachung, mehr Kontrollen sehr wohl ein Stück dieses Freiheitsgefühls zurückgeben könnte. Dass sich Freiheit und Sicherheit an diesem Punkt nicht als zwei Determinanten erweisen, bei der die Ausbau der einen automatisch zur Einschränkung der anderen führt. An diesem Punkt der Bedrohung, an dem die Freiheit schon so empfindlich eingeschränkt ist, würde die Sicherheit mir ein Stück dieser Freiheit wiedergeben.

Falsche Prioritäten im Medienfokus
An allgegenwärtige Terrorbedrohung will ich mich nicht gewöhnen
Freilich ist das Maß hierbei entscheidend. In Sachen der Sicherheit ist vor allem Präzision statt Generalüberwachung der gesamten Bevölkerung gefragt. Ein Anfang wäre an dieser Stelle eine konsequentere Überwachung der salafistischen bzw. radikal-islamistischen Szene hierzulande. Es reicht nicht, nur die bereits bekannten Gefährder zu überwachen, während man in den sozialen Netzwerken jeden Islamkritiker stärker verfolgt und zensiert als jeden radikalen Salafisten oder jede hetzerische islamistische Seite, die sich offen verfassungsfeindlich und intolerant gegenüber unseren Werten gibt. Die Menschen spüren, wie machtlos wir uns immer noch gegenüber jenen Verhalten, die gar keinen Hehl daraus machen, dass sie unsere freiheitliche, demokratische Grundordnung ablehnen. Die Menschen spüren, dass wir auch in Sachen Asylpolitik hierzulande nichts im Griff haben, wenn fast 500.000 Menschen unregistriert durch’s Land streifen. Hier muss dringend angesetzt werden und dies wird mitnichten zu einer generellen Einschränkung der Freiheit führen. Im Gegenteil werden diese Maßnahmen erst wieder für mehr Freiheit auch im Kopf der Menschen sorgen.

Die Freiheit der Gegner der Freiheit beschränken

Hierzu gehört jedoch auch, dass wir die Gegner unser Freiheit in ihrer Freiheit einschränken. Die Toleranz muss da enden, wo sie nicht erwidert wird und wo man sie missbraucht, um die Freiheit anderer einzuschränken. Hierfür ist es wichtig, dass wir endlich aufhören, nach Anschlägen Artikel zu verfassen oder Leute in Talkshows darüber schwadronieren zu lassen, dass die Attentäter letztlich eigentlich Opfer dieses kalten, erbarmungslosen Systems seien. Wir müssen aufhören, uns die Schuld für ihr Scheitern zu geben. Statt sich zu fragen, was unsere Gesellschaft noch in Sachen Integration verbessern kann, muss man sich endlich fragen, ob manche Menschen überhaupt jemals zu integrieren waren. Ob diese Kultur der Integration nicht schon naturgemäß Grenzen setzt, die mit noch so viel Bemühungen von Außen nicht zu überwinden sind. Es ist die Absage an eine Illusion, die uns seit Jahrzehnten fest im Griff hat und die nötig wäre, um aus diesem ewig gleichen Kreislauf auszubrechen.

Ich habe es satt, als Bürger von irgendwelchen Kollegen und „Islam-Experten“ eine indirekte Schuld am Versagen dieser Menschen auferlegt zu bekommen. Ich will nicht mehr für die Verbrechen irgendwelcher Islamisten mit haftbar gemacht werden. Jedenfalls wäre mir nicht bekannt, dass ich auch nur einen von ihnen davon abgehalten hätte, sich zu integrieren, gut in der Schule zu sein und einem Beruf nachzugehen. Darüberhinaus beschwert sich keine andere Einwanderergruppe über eine etwaige Ausländerfeindlichkeit der Deutschen. Kein Japaner, kein Vietnamese, Grieche etc. fühlt sich hier unfair behandelt und in seinen Möglichkeiten beschnitten, sodass er auf die Idee kommt, sich dem radikalen Islam anzuschließen und anderen Menschen nach dem Leben zu trachten. Kein einziger. Broder hat dieses Phänomen treffend in seinem Kommentar zu Blüm und Idomeni beschrieben. Es herrscht in dieser Kultur ein grundlegendes Problem mit der Selbstverantwortung. Und wir haben den Fehler begangen, diese Verantwortungsverlagerung anzunehmen. Damit muss Schluss sein, wenn ein effektives, entschiedenes Handeln gegen die Gegner unserer Verfassung möglich sein soll.

Jede dieser Bemühungen, die Schuld auf andere als die Täter zu verlagern, stellt meines Erachtens eine Verhöhnung der Opfer dar und sorgt dafür, dass wir uns weiterhin fröhlich im Kreis drehen, wenn es um die Bekämpfung von Terrorismus geht. Ich will sie nicht mehr lesen und ich will sie nicht mehr hören. Die Erklärungen für das, was nicht zu erklären und schon gar nicht zu entschuldigen ist.

Was wir an dieser Stelle brauchen, sind nicht noch mehr Integrationsprojekte und Terrorismusprävention. Kein Land der Welt ist aktiver in diesem Bereich als Deutschland. Was wir jetzt brauchen, ist ein starker Staat, der entschieden gegen seine Feinde vorgeht und wieder für mehr Sicherheit und Freiheit innerhalb der Bevölkerung sorgt.

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