Der gläserne Bürger: Identifikationsnummer für jedermann kommt

Auch dieses Projekt der GroKo soll ohne lange parlamentarische Debatten schnell durchgezogen werden: Die Steuer-ID wird zur Identifikationsnummer für jeden Bürger bei Behördenkontakten. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hält das Vorhaben für verfassungswidrig.

imago images / blickwinkel

Im Schatten des Bevölkerungsschutzgesetzes treibt die Bundesregierung ein anderes Vorhaben voran: Alle Einwohner sollen eine Personenkennziffer bekommen – natürlich nur zu ihrem Wohl, damit sie nicht ständig nach irgendwelchen Dokumenten wie Geburtsurkunden und Steuerbescheiden suchen müssen, wenn sie bei einem Amt einen Antrag stellen wollen. Große Debatten darüber sollen im Bundestag erst gar nicht geführt werden: Die erste Beratung steht heute, am Donnerstag (19. November 2020) zu abendlicher Stunde an: Um 22.00 Uhr soll die Debatte beginnen und gerade einmal eine halbe Stunde dauern.

Der Gesetzentwurf auf Bundestagsdrucksache 19/24226 kommt mit den besten Absichten daher: „Es ist schwer, der Bevölkerung zu vermitteln, dass sie beim Kontakt mit der Verwaltung für die Beantragung von Leistungen immer wieder die gleichen Daten angeben muss, die der Verwaltung an anderer Stelle bereits bekannt sind.“ In den Ämtern selbst könne es zu Verwechslungen kommen, auch seien Schreibfehler und andere Fehler möglich. „Dies lässt sich nur durch ein registerübergreifendes Identitätsmanagement mit einem eindeutigen und veränderungsfesten Ordnungsmerkmal (Identifikationsnummer) vermeiden“, so die Bundesregierung und freut sich: „Diese Aufwände lassen sich minimieren, wenn die jeweilige Behörde die Basisdaten zu einer natürlichen Person über die neu geschaffene Registermodernisierungsbehörde direkt abrufen kann. Statt die grundlegenden Daten zu einer Person an vielen dezentralen Stellen permanent aktuell halten zu müssen, würden die Basisdaten einer natürlichen Person zentral durch die Registermodernisierungsbehörde qualitätsgesichert.“ Diese Registermodernisierungsbehörde wird beim Bundesverwaltungsamt angesiedelt und soll mit 250 Stellen ausgestattet werden.

Das „veränderungsfeste Ordnungsmerkmal“ existiert längst: es ist die Steueridentifikationsnummer, bekannt auch als „Steuer-ID“. Sie bekommt jeder von Geburt an, Ausländern wird sie bei der ersten Anmeldung zugeteilt. Sie soll in Zukunft zur Kennziffer weit über die Steuer hinaus werden. Die Menschen könnten viel Zeit sparen: „Danach sparen Bürger 47 Prozent des Zeitaufwands für Behördengänge, 84 Millionen Stunden pro Jahr, weil sie zum Beispiel kaum noch persönlich zu Behörden gehen müssen, um Nachweise einzuholen oder abzugeben“, heißt es in dem Gesetzentwurf.

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Die Zeitsparenden, wie sie im Genderdeutsch wohl heißen, sparen vielleicht ein paar Stunden, werden aber zum „gläsernen Bürger“. Vor einer Nutzungausweitung der Steuer-ID zu einer neuen Personenkennzahl wie in der früheren DDR war bereits bei der Einführung der Steuer-ID 2007 gewarnt worden. Jetzt findet sie statt. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz hält das Vorhaben für verfassungswidrig und schreibt in einer Stellungnahme: „Die Verwendung eines derartigen einheitlichen Personenkennzeichens ist … verfassungswidrig, da in diesem System keine hinreichenden strukturellen und systematischen Hemmnisse vorgesehen sind, die einen Missbrauch des Systems sowohl von innen heraus, als auch nach außen effektiv verhindern. Dieses System gefährdet so bereits durch seine Implementierung den besonders geschützten geistigen Innenraum des Bürgers.“

Auch der Deutsche Anwalt-Verein protestiert: Das Gesetz „schafft die technischen Voraussetzungen dafür, die einzelnen Bürgerinnen und Bürger in allen Aspekten ihres Lebens zu erfassen. Mit der Identifikationsnummer können theoretisch Gesundheitsdaten, Steuerdaten und Informationen zu möglichen Vorstrafen zusammengeführt werden.“

Wie schon beim Infektionsschutzgesetz geschehen, dürften die Bedenken kaum zur Kenntnis genommen und das Gesetzgebungsverfahren im schon bekannten Kurzverfahren erledigt werden: Die erste Beratung dauert dreißig Minuten. Es folgt eine öffentliche Anhörung von Experten, denen kaum zugehört wird, und anschließend nach kurzer Befassung im zuständigen Bundestagsausschuss die zweite und dritte Plenarberatung ebenfalls in 30 Minuten. Dann kann der „gläserne Bürger“ Realität werden.

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Kommentare ( 145 )

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Lore
3 Jahre her

Die PKZ gab es schon in der DDR. Ich kann mich erinnern dass die z.B. immer auf dem Auszahlungsbeleg beim Sparbuch vermerkt werden musste (ich habe damals in der SpK gearbeitet). Auch sonst musste sie oft angegeben werden. Also – wie sagt man so schön neudeutsch – back to the roots. Wir nähern uns immer weiter unserer Vergangenheit an.

Elefant
3 Jahre her
Antworten an  Lore

Dieses Vorhaben wird nirgendwo in den Medien (TV & Radio) dargestellt/diskutiert; auch meldet sich kein Datenschutzbeauftragter zu Wort und niemand geht auf die Straße. Die SPD (eigentlich nicht unter Merkel-Kuratel sondern mit Kanzler-Allüre) segnet diesen unglaublichen Vorgang mit ab. Hier hätte diese Partei, kurz vor der Wahl, die Möglichkeit gehabt Merkels Plan zu konterkarieren. Erfasst niemand die Tragweite dieses Unterfangens, daß auf einen Knopfdruck eines simplen Sachbearbeiters der Bürger komplett, d. h. einschließlich Gesundheitsdaten, Versicherungen, Konto- & Kredit-Daten, Arbeitslosenzeiten, Umzüge etc. auf dem Bildschirm erscheint? Daraus folgt dann ein großer Gestaltungsspielraum (Verkauf der Daten z. B. um das Gehalt aufzubessern).… Mehr

Ulli Z.
3 Jahre her

Interessant, dass bei der Einführung der Steuer-ID (sie gilt selbst noch bis 10 Jahre NACH dem Tod eines Bürgers!) ganz klar gesagt wurde, dass das KEINE Personenkennummer sein wird, weil das von der Verfassung her gar nicht zulässig wäre. Nun versucht man auf einfachgesetzlicher Grundlage dieses Verbot zu umgehen, in dem man die Steuer-ID für andere Vorgänge außerhalb des Finanzamtes einspannt. Weil es ja angeblich so „praktisch“ sei. Neulich beantragte ich eine Kreditkarte, und da war tatsächlich auch bereits ein Feld vorgesehen um die Steuer-ID anzugeben, wenn auch nicht verpflichtend. Ich habe sie natürlich weggelassen. Die Datenverarbeiter stellen sich also… Mehr

Genco Steins
3 Jahre her

Die Gefahr der ID besteht darin, dass man sie (auch außerbehördlich) zur Identifikation nutzen wird: Irgendwo ´nen regierungskritischen Kommentar schreiben? Registrieren Sie sich (einfach) mit Ihrer ID => „Bitte warten… Ihr Social-Score wird gerade neu berechnet…“. Schöne Neue (praktische) Welt.

Dieter
3 Jahre her

Ich hoffe nur, das nicht, wie bei der Einführung der (eindeutigen..) Steuer-ID wieder 200.000 doppelt vergeben werden. Dann müßte ich wohl den Barcode auf meinem Unterarm wieder nach-tätowieren lassen.. Und erst das umprogramieren des RFID Chips im Nacken.. Mal sehen was der Tierarzt dafür will. Im Erst: wir werden amtlicherweise bereits dermaßen ausgespäht, da macht die Nummer auch nicht mehr den Unterschied. Bewegungsprofile von Kameras mit Gesichtserkennung (Südkreuz) digitale Geldflüsse (EC , SmartPhone, Kreditcard) mit Sepa/Fatca Meldung direkt ans Rechenzentrum in den USA, Eine LEI (Legal Entity Identifier) für alle Unternehmen, nummernschildscanner, Fahrzeugdaten übermittlung an Hersteller und ab 2021 auch… Mehr

Peter Berger
3 Jahre her

Die im Artikel genannte Stellungnahme des DAV (Deutscher Anwaltverein) hier nochmal komplett zum Nachlesen:
https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-75-20-zum-registermodernisierungsgesetz?file=files/anwaltverein.de/downloads/newsroom/stellungnahmen/2020/dav-sn-75-2020.pdf
Man sieht dort auch, an welchen Verteiler die kritisch-ablehnende Stellungnahme bereits Anfang November geschickt wurde.

Katha
3 Jahre her

Denken wir uns noch den RFID Chip dazu,dann kommt das Geofencing zum Einsatz, ganz ohne Fußfessel. Bewegt sich jemand außerhalb des ihm je nach social credits gestatteten räumlichen Bewegungsradius, wird er einkassiert oder von Drohnen zur Rückkehr gezwungen.

Klare Kante
3 Jahre her

In der DDR, aus der ja Kanzlerin Angela Merkel stammt, hieß diese Nummer PERSONENKENNZAHL (PKZ), die jeder Bürger verbunden mit seinem PA (Personalausweis) bekam. Gelernt ist also gelernt. Und es gilt für Merkel nach dem „einzuholen,“ jetzt auch noch volle Kanne das Überholen!

WernerT
3 Jahre her

Vorausgeschickt: Ich habe gut 40 Jahre in der IT hinter mir und kann beurteilen, was man mit Daten und Software so alles machen kann. Aber Liebe Leute: man kann sich doch nicht ständig darüber beschweren, daß in D das E-Gouvernment nicht funktioniert bzw. quasi nicht vorhanden ist, daß man wegen jedem Sch…. persönlich zum Amt laufen muß (incl. Sozialleistungen und Gesundheitswesen) … verbunden mit Anträgen auf Papier und immer wieder das gleiche schreiben müssen, ggf. mehrfache Amtsgänge für den gleichen Vorgang, stundenlangen Wartezeiten, Urlaubsnahme, Gleitzeitabbau etc. … und auf der anderen Seite die notwendigen Grundlagen für E-Gouvernment und Online-Portale verweigern.… Mehr

WernerT
3 Jahre her
Antworten an  WernerT

Noch ein paar Zusatzinformationen zur Beruhigung der Skeptiker. Das Bundesverwaltungsamt soll bis 2022 insgesamt 575 Verwaltungsdienstleistungen digitalisieren. Als digitales Backoffice des Bundes erbringt das BVA Leistungen für mehr als 300 Behörden und Institutionen. Seit Ausfertigung des Onlinezugangsgesetzes (OZG) im August 2017 sind Bund und Länder verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen bis Ende 2022 online über Verwaltungsportale anzubieten. Sorry – und erst jetzt … Ende 2020 … redet man über eine wichtige Daten- und Zugangsbasis – nämlich eine einheitliche Identnummer. Digitalisierung und einheitliche Software werden die aber genau so lange nicht hinbekommen wie Andere sich am BER versucht haben. Aufgrund der miesen Bezahlung… Mehr

Beobachterin
3 Jahre her

Mit der Geburt wird man zum Steuersubjekt. Geboren und registriert als zukünftiger Steuerschuldner. Toll! Babys bekommen eine Steuer ID, für den Rest ihres Lebens und weit darüber hinaus. Das eignet sich natürlich bestens zum Primärschlüssel und damit zum Datenabgleich zwischen allen möglichen Interessenten. IT-Sicherheit und Datenschutz sagen dazu schon jetzt eindeutig Nein. Mal abgesehen davon: Die Steuernummer (nicht die ID) wurde bis heute nicht abgeschafft. Seit 12 Jahren wird sie immer noch parallel geführt. Und dann gibt es ja noch die Personalausweisnummer, den elektronischen Personalausweis, die Steuer ID für Neubürger ohne Aufenthaltstitel, die Rentenversicherungsnummer, die Umsatzsteuer-ID, und, und, und. Ich… Mehr

daldner
3 Jahre her

Genau. Und dann gibt es Kontingente für den Bezug bestimmter Waren. An der Kasse bei REWE, wo man ja schon sein Hartz-4 abholen muss, falls das Amt es mal vergessen hat, zu überweisen, heißt es dann: „den Sekt müssen Sie hierlassen. Sie haben diesen Monat Ihr Bezugskontingent für Alkohol erreicht.“ Gleiches gilt dann ggf. für rotes Fleisch, Zigaretten, zuckerhaltige Lebensmittel… Der Hartzer darf dann kein Lotto mehr spielen… und und und…

Gruenauerin
3 Jahre her
Antworten an  daldner

In China, dort wo der Soziakredit schon läuft, ist es genau so. Wer zu viel Alkohol kauft, wird als Vielleicht-Alkoholiker als nicht mehr verlässlich eingestuft. Habe ich heute Vormittag in einer Doku gesehen. Und wenn man als nicht mehr verlässlich eingestuft wird, darf man dann vieles nicht mehr.