Der Fall Pirinçci – jetzt trifft er Prominente

Akif Pirinçci setzt sich vor Gericht gegen deutsche Medien durch - wer will, kann daraus den Vorwurf der "Lügenpresse" gerichtlich bestätigt sehen. Sein Fall zeigt, was passiert, wenn Meinungsfuror auch sonst kühle Journalisten befällt.

Rechtsanwalt Steinhöfel erkämpft im Dutzend Presserechtsurteile zu Gunsten von Akif Pirinçci gegen deutschen Medien - auch den Vorsitzende der Bundespressekonferenz, Gregor Mayntz hat es getroffen. Wer an den Vorwurf der "Lügenpresse" glaubt, mag sich gerichtlich bestätigt sehen.

Der Fall Akif Pirinçci, Autor der wunderbaren Felidae-Katzenromane und der scheusslichen Pegida-Rede in Dresden wird zur Tragikomödie der deutschen Medien: Pirinçci setzt sich nach Abmahnungen und vor Gericht gleich im Dutzend gegen deutsche Medien durch, die damit selbst den Beweis liefern, auf den Anhänger von Pegida warten: Medien berichten falsch und einseitig. Der lautstark erhobene Vorwurf „Lügenpresse“ wird gewissermaßen gerichtlich bestätigt.

Das Who is Who der Medien betroffen

So musste einer der prominentesten deutschen Journalisten eine Unterlassungserklärung unterschreiben und seinen Kommentar in der Causa Pirinçci kleinlaut berichtigen: Ausgerechnet Gregor Mayntz, der Vorsitzende der Bundespressekonferenz musste beidrehen. Er hat Pirinçci in Kommentaren auf den Online-Seiten der Rheinischen Post und der Aachener Zeitung falsch zitiert.

Ausgerechnet die Bundespressekonferenz! Sie ist der Zusammenschluss der Hauptstadtjournalisten und lädt die Sprecher der Bundesregierung und wichtiger Einrichtungen zur Pressekonferenz. Deren Vorsitzender darf den Bundespresseball, diesmal am 27. November im Hotel Adlon, im Walzer mit der Frau des Bundespräsidenten eröffnen. Mehr fein geht kaum, und trotzdem falsch?

Mayntz wird zukünftig nicht mehr behaupten, Pirinçcis Satz, „Die Konzentrationslager seien leider derzeit außer Betrieb“, beziehe sich auf Flüchtlinge und sei damit als „Aufruf zum Völkermord zu verstehen“.

Vor Mayntz hatte es gerichtlich schon andere getroffen – die Gerichts-Siege, die der Hamburger Presserechtler Joachim Steinhöfel  für Pirinçci durchsetzt, lesen sich wie ein Who is Who der deutschen Medien:

Spiegel online hat sich vor Abmahnung korrigiert und gegenüber den Lesern per e-mail entschuldigt. Nach gerichtlicher Abmahnung korrigierte der NDR seine Veröffentlichung und entschuldigte sich öffentlich. DIE ZEIT, Leipziger Volkszeitung, Kieler Nachrichten und die Hannoversche Allgemeine veröffentlichten Richtigstellungen; die Südwestpresse, das Schwäbische Tagblatt und das ZDF eine Unterlassungserklärung. Die B.Z. in Berlin kassierte eine einstweilige Verfügung. Andere Verfahren sind noch anhängig, etwa gegen die Frankfurter Rundschau; aber auch hier wird sich Pirinçci durchsetzen. Denn die Sachlage ist klar und auf Youtube jederzeit einsehbar: „Dennoch haben es große Teile der Medien nicht geschafft, den Kontext richtig wiederzugeben“, notierte der Medienjournalist Stefan Niggemeier.

Nicht alle Medien informierten falsch, so Niggemeier weiter: „Manche wie die „Berliner Zeitung“ und gelegentlich dpa wiesen explizit darauf hin, dass sich Pirinçcis KZ-Satz nicht auf Flüchtlinge bezog. Aber die irreführende Darstellung fand grösste Verbreitung“. Zeit online, Bild, Handelsblatt, Deutschlandfunk – alle waren sich einig im Falschen – und müssen sich nun auf Druck korrigieren. Es ist ein Pyrrhus-Sieg. Denn an der kollektiven Vernichtung des Autors ändern seine Siege vor Gericht nichts: Recht haben ist eine Sache, Recht kriegen eine andere und Bücher erfolgreich verkaufen, die dritte.

Die Debatte trifft die deutsche Medienlandschaft zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt

„Die Berichterstattung über das Flüchtlingsthema wird von knapp der Hälfte der Bevölkerung als nicht angemessen und ausgewogen eingestuft“, notierte Renate Köcher vom Allensbacher Institut für Demoskopie in der WELT. In immer wieder neuen Akten der Entschuldigung müssen sich insbesondere die öffentlich-rechtlichen Medien für ihre tendenziöse Berichterstattung entschuldigen: Claus Kleber vom ZDF erklärte, dass anders als immer wieder dargestellt die meisten Flüchtlinge keineswegs hochqualifiziert seien. Dieser Eindruck entstehe nur dadurch, dass die Reporter eben mühsam die wenigen suchten, mit denen sie sprachlich überhaupt kommunizieren könnten.

Und der Chefredakteur der Tagesschau, Kai Gniffke, sagte: „Wenn Kameraleute Flüchtlinge filmen, suchen sie sich Familien mit kleinen Kindern und großen Kulleraugen aus.“ Tatsache sei aber, dass „80 Prozent der Flüchtlinge junge, kräftig gebaute alleinstehende Männer sind“. Vor Branchenexperten in Hamburg sagte Gniffke weiter: Die bildgeprägte Berichterstattung vermittle dagegen oft ein „Familienbild“. Das soll sich neuerdings wohl ändern, versprach er. „Wir müssen sensibel sein, damit die Bildauswahl nicht allzu sehr auf Kinder fokussiert wird“, kündigt der Chefredakteur gegenüber FOCUS im Oktober an.

Pegida und die „Lügenpresse“

Erstmal war der Vorwurf „Lügenpresse“ auf den Pegida-Demonstrationen in Dresden vor rund einem Jahr laut geworden. Schon damals blamierten sich manche Journalisten: Danach war ein authentischer Pegida-Demonstrant, den der NDR im Spätherbst 2014 interviewte, ein getarnter RTL-Reporter. Und der klopfte ordentlich rassistische Sprüche, die dann der NDR in voller Länge gesendet hat. Und was sagt RTL dazu?

“Bei seinem Einsatz wurde der verdeckte Reporter, der seit 2 Jahren für das Landesstudio Ost arbeitet und vorher für den NDR tätig war, von einem NDR/Panaroma-Team für ein Interview angesprochen. In dieser Situation hatte er drei Möglichkeiten: Nichts sagen, sich als Kollege outen – oder in der gespielten Rolle eines Pegida-Anhängers verbleiben. Er entschied sich für Möglichkeit drei – und traf damit die eindeutig falsche Entscheidung. Seine Aussagen geben weder seine Meinung noch die von RTL wider.”

Natürlich verwahren sich Journalisten und Verbände gegen den pauschalen Vorwurf; das Wort „Lügenpresse“ stammt tatsächlich aus der Wortfabrik der Nazi-Propaganda. Aber das Unbehagen an der Berichterstattung wuchs tatsächlich – und jetzt führt ausgerechnet Akif Pirinçci ausgerechnet den Vorsitzenden der Bundespressekonferenz beim falschen Zitieren vor.

„Angesichts der Flüchtlingswelle haben die Medien, besonders in Deutschland, die kritische Distanz verloren. Die Berichterstattung geriet zur Kampagne“, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. Sie bringt damit auf den Punkt, was Leser und Zuschauer in Deutschland seit Wochen erfahren: Ein Überwältigungsjournalismus hat das Land erfasst, eine Art propagandistische Monstershow, die jede kritische Distanz vermissen lässt, jede Nachfrage ausblendet, und jeden Andersdenkenden diffamiert. „In moralischen und emotionalen Ekstasen steigerten sich die deutschen Medien mit wenigen Ausnahmen (so die «FAZ») in einen Überbietungswettbewerb um Empathie und Willkommenseuphorie hinein, ohne Gedanken an den Überdruss, den derlei beim Leser erzeugen kann. Einseitigkeit war Trumpf: Die Umarmung der fernen Fremden ging einher mit rabiatem Kommunikationsabbruch dem deutschen Nachbarn gegenüber, der sich nicht auf die kommenden gesellschaftlichen Veränderungen freuen wollte.“

Und nun also die Serie von Prozessen, die ausgerechnet Pirinçci gewinnt, der ohne Zweifel eine dumme und abscheuliche Rede gehalten hat – und ausgerechnet damit die Branche vorführen konnte, wenn auch ungewollt. Denn schlimmer hätte es kaum kommen können – für beide Seiten. Wer will, hat jetzt den gerichtlich Beweis für „Lügenpresse“.

Pirinçcis  Pyrrhus-Sieg

Aber auch für Pirinçci hatte die Rede schwere Konsequenzen: Die Verlagsgruppe Random House kündigte angesichts der „inakzeptablen Äußerungen“ bestehende Verträge mit ihm auf, seine Bücher wurden gesperrt. Aus dem Bestseller-Autor wurde ein No-Name, ein Geächteter. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft Dresden wegen Volksverhetzung gegen ihn. Pirinçci selbst ruderte später zurück und bezeichnete den Auftritt und insbesondere seinen KZ-Vergleich in einem Interview mit dem stern als „Riesenfehler“, der „zur Falschinterpretation geradezu einlud“.

Seine Katzenbücher verschwanden aus den Regalen. Buchhändler wurden zu bereitwilligen Vollstreckern von Fehlurteilen im Namen der politischen Korrektheit – aber an den Fakten diametral vorbei. Keine Überraschung, dass etwa die rechte „Junge Freiheit“ argumentieren konnte, dass hier Grenzen der Rechtsstaatlichkeit eklatant überschritten werden: Im Rechtsstaat wird ja eigentlich getrennt zwischen Politik und Privatem, zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen. Bei Pirinçci wurde dagegen vorgeführt, wie eine auch nur mißverständliche Äußerung zu einem flächendeckenden Ausschluss einer Person führen kann, eine Art kollektive Ächtung – auch alle Kneipen in Bonn sollen angeblich Pirinçci ein Hausverbot erteilt haben, der mittlerweile sein Haus zum Verkauf gestellt haben soll und Deutschland verlassen will.

Alle fühlen sich wohl dabei – dabei ist „die Geschichte der modernen Steinigung des Akif Pirinçci eine Geschichte von Fehlern, Exzessen und Scheinheiligkeiten“, bilanzierte Niggemeier, der seinerseits sagt: „Sein Ausschluss aus dem öffentlichen Diskurs ist kein Verlust“. Ein Verlust für die Glaubwürdigkeit der Medien ist der Fall Pirinçci dennoch.

Wie konnte es so weit kommen? Journalisten dürfen sich bekanntlich mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer Guten, wird der frühere Tagesthemen-Moderator Joachim Friedrichs oft zitiert. In der Flüchtlingsfrage wird dieser Grundsatz durchbrochen.

Die eigene Meinung reisst mit, spätestens wenn es gegen Außenseiter geht, deren Appetitlichkeit wie bei Pirinçci in Zweifel steht, fallen alle Schranken – ungeachtet der Selbstbeschädigung derer, die eigentlich keine „Lügenpresse“ sind.

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