Ob mit oder ohne Obergrenze: Hauptsache weniger Flüchtlinge

Obergrenze oder Begrenzung oder Reduzierung, egal sagt Seehofer, Hauptsache es wird gemacht.

War da was? Familienkrach in der Union? Ein tiefes Zerwürfnis zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel? Ja, da gab es diese Demütigung der CDU-Vorsitzenden durch den CSU-Chef in München. Wer das jedoch nicht wußte, wäre beim Auftritt Seehofers vor dem CDU-Parteitag niemals auf die Idee gekommen, der Haussegen hinge schief. Denn der bayerische Löwe gab in Karlsruhe die zahme Hauskatze – nicht inhaltlich, aber verbal.

Seehofer wurde höflich empfangen, nicht so kühl wie Merkel in München. Zum Schluss gab es sogar Jubel, als er die Regierungschefin in höchsten Tönen lobte. als „exzellente Kanzlerin“, die Deutschland „erstklassig“ in der Welt vertrete. Da schaute Merkel fast so gerührt wie gestern, als sie nach ihrer Rede minutenlang gefeiert wurde.

Bei Streitpunkt Flüchtlingspolitik machte Seehofer es sehr geschickt. Er verglich die Leitanträge von CDU und CSU mit dem Ergebnis, dass man bei den Fragen eines menschlichem Umgang mit den Flüchtlingen und ihrer Integration auf einer Linie liege. Und der Streitpunkt Obergrenze? Den klammerte Seehofer nicht aus, sondern stellte ihn in eine Reihe mit Begrenzung der Flüchtlingszahlen, der Forderung nach Begrenzung der Zuwanderung wie der verstärkten Rückführung von nicht Bleiberechtigten. Seehofer spottete, mit den semantischen Unterschieden könnten sich ja Sprachwissenschaftler beschäftigen. Er will die Zahl der Flüchtlinge deutlich reduzieren – unter welcher Überschrift auch immer.

Ist der Familienfriede in der Union damit wiederhergestellt? Nicht ganz. Angela Merkel hatte den Gast zwar in den Saal geleitet und begleitete ihn auch wieder zum Ausgang. Aber die Begrüßung und Verabschiedung überließ sie ihrem Stellvertreter Thomas Strobl. Der Horst sollte schon spüren, dass „Mutti“ ihm nicht alles durchgehen läßt.

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Der zweite Tag beim CDU-Parteitag in Karlsruhe:

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15.12.2015 – Tag zwei der CDU-Harmonieschau in Karlsruhe:

Warten auf Horst Seehofer

Die CDU-Delegierten haben sich gestern an ihrer Vorsitzenden und an sich selbst berauscht: So viel Harmonie war selten. Heute morgen haben sie dann beim Blick in die Zeitungen erfahren, dass ihre Partei wieder auf 35 Prozent gefallen ist. Offenbar sehen die Wähler manches anders als die Parteitagsdelegierten, die sich überwiegend aus Berufspolitikern zusammensetzen. So besehen hat sich die CDU irgendwie ihrem Koalitionspartner SPD angenähert: Auch dort interessieren sich die Funktionäre mehr für die Reinheit der Lehre als für die Stimmung in der Bevölkerung.

Dass es in den Reihen der Funktionsträger mehr gärt, als der Angie-Jubel vermuten ließ, zeigte sich übrigens am Montagabend. Da ließ der Parteitag wesentliche Teile der von CDU-Generalsekretär Peter Tauber angestrebten und zum wichtigsten Inhalt seiner Amtszeit erkorenen Parteireform gnadenlos durchfallen. Bei der Abstimmung über die vorgeschlagene Beitragserhöhung und die Ablösung des Delegiertenprinzips auf Kreisebene durch die Mitbestimmung aller Mitglieder erlebte der „General“ sein Waterloo. Der Parteitag hatte sein Ventil für den Unmut über die Flüchtlingspolitik gefunden. Dass in der Karlsruher Stadthalle die Internet- und Mobilphone-Verbindungen miserabel waren, brachte Tauber auch keine Sympathien ein. War ausgerechnet er doch mit dem Anspruch angetreten, die CDU fit zu machen für die neuen Kommunikationsmöglichkeiten.

Heute wird in Karlsruhe nichts Wesentliches beschlossen. Heute steht der Auftritt von CSU-Chef Horst Seehofer im Mittelpunkt. Da sind die Gefühle gespalten. Einerseits dürfte Seehofer mit seiner nüchternen Haltung in der Flüchtlingspolitik den meisten Delegierten aus der Seele sprechen. Er wird das sagen, was der Parteitag nicht beschließen durfte. Andererseits hatte er Angela Merkel auf dem CSU-Parteitag abgekanzelt wie ein dummes Schulmädchen. Deshalb hoffen die Unionisten, dass ihre Chefin dem Besucher aus Bayern mit ein paar süffisanten Bemerkungen begrüßen wird. Ist er erst einmal abgewatscht, können sie dann seine Obergrenzen-Rhetorik beklatschen. Parteitage sind ja vieles; streng rationale Veranstaltungen sind sie nicht.

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14.12.2015 – Schafft die CDU ihre eigene Alternativlosigkeit ab?

Merkel bleibt unangefochten – bis zum Frühjahr

Angela Merkel war gerührt: Nach ihrer Parteitagsrede feierten die Delegierten sie mit „standing ovations“. Das hatte sie auch ein wenig der SPD zu verdanken. Nachdem die Genossen in der vergangenen Woche demonstriert hatten, wie man den eigenen Spitzenmann demontiert, wollte die CDU ein Kontrastprogramm bieten: Einigkeit macht stark.

Merkels neu gewonnene Stärke beruht indes auf dem Motto ihrer Politik: Alternativlosigkeit. Sie muss in der Partei – ungeachtet allen Widerspruchs gegen ihre Flüchtlingspolitik – keinen Konkurrenten fürchten. Potentielle Konkurrenten  wie Friedrich Merz, Roland Koch, Christian Wulff oder Günther Oettinger stehen nicht mehr zur Verfügung. Die haben sich selbst ausgewechselt, überwiegend mit kräftiger Nachhilfe der Teamchefin.

Merkel hat zudem das Beste aus der Lage gemacht: mit einer Rede, die die Delegierten wieder stolz machte auf ihre Partei. Geschickt erinnerte sie an die CDU-Ikonen Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und nicht zuletzt an Helmut Kohl. Ihre Botschaft: auch die hatten mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen – und haben sich letztlich durchgesetzt. Und in der Flüchtlingspolitik beziehungsweise über die Fehler ihrer Regierung breitete sie den Mantel christlicher Nächstenliebe aus. So viel CDU pur wie in Karlsruhe hat die CDU-Chefin schon lange nicht mehr geboten.

Die Kanzlerin hat vor allem eines geschafft: Sie hat die Risiken klein und die Chancen groß geredet. Ihr „Wir schaffen das“ zeugte von einem nur schwer zu begründenden Optimismus. Man kann das auch eine  gewisse Überheblichkeit nennen. Das erinnerte an den für Amerika typischen grenzenlosen Optimismus: „If you can dream it, you can make ist.“ Oder: Träume sind nicht Schäume, sondern die Basis für Erfolge. Der Blick nach Amerika lehrt aber auch: Obamas „Yes, we can“ hielt nur kurz an. Bald zeigte sich, was der angebliche Wunderheiler alles nicht kann.

Der Test für Merkels „Yes, we can“-Imitation kommt im Frühjahr. Sollten die Flüchtlingszahlen nicht signifikant zurückgehen, wird sich die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich rechts von der Union mit der AfD eine neue, rechtspopulistische Partei etabliert. Dann hätte die CDU sich selbst geschafft – als alternativlose, bürgerliche Volkspartei.

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14.12.2015 – Kinder, heute wird’s noch was geben:

Auf dem CDU-Parteitag wird doch noch gestritten – ums Geld

Parteitage im Advent haben offenbar eine sedierende Wirkung: Man ist irgendwie in friedfertiger Stimmung. Das war vor einem Jahr in Köln so, das ist jetzt in Karlsruhe nicht anders. 2014 wollten Junge Union und Mittelstandsvereinigung das Thema „kalte Progression“ ein für alle Mal beseitigen – durch einen Steuertarif „auf Rädern“. Der sollte verhindern, das der Inflationsausgleich bei Gehaltserhöhungen nicht progressiv besteuert wird. Doch aus dem angekündigten Aufstand wurde nichts: Die Rebellen ließen sich schon am Vorabend des Parteitags mit einer kleinen Lösung zum Rückzug bewegen.

Das ist in diesem Jahr beim Thema „Obergrenze“ nicht anders: Das O-Wort wird in Karlsruhe vermieden, Angela Merkels Politik der offenen Grenzen vom Parteitag abgesegnet, eine aus der Sicht der Parteispitze schreckliche „Kampfabstimmung“ vermieden. Spricht man mit Delegierten, dann spürt man gleich, dass das vielen nicht passt. Aber alle machen mit. Warum: Weil alle mitmachen. Nähres dazu kann man in der einschlägigen Werken über Massenpsychologie lesen.

Dennoch wollen viele Delegierte in Karlsruhe Dampf ablassen – irgendwie, irgendwo. Ihr Pech: Es stehen keine Wahlen an. Wer mit Merkel nicht zufrieden ist, kann es sie also nicht einmal ihren Generalsekretär durch ein schlechtes Ergebnis spüren lassen. Aber gemach: Wenn die viel gerühmte „Basis“ schon beim Thema Flüchtlinge nicht offen abstimmen darf, dann sucht sie vielleicht ein anderes Ventil. Heute Nachmittag steht nämlich eine Änderung der Beitragsordnung zur Debatte. Da geht’s um höhere Beiträge und mehr Geld für die Bundespartei. Gut möglich, dass die Delegierten da nein sagen. Denn irgendwo muss er ja raus, der Frust. Wenn’s schon keine Obergrenze gibt, dann wenigstens ein Denkzettel für „die da oben“. Generalsekretär Peter Tauber müsste sich dann sogar freuen. Schließlich will er doch eine neue CDU – eine „Mitmachpartei“.

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+++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 14.12.2015 – Die Merkel-Kritiker machen ein freundliches Gesicht:

Der eigentliche CDU-Parteitag findet gar nicht statt

Um 10:30 Uhr beginnt der CDU-Parteitag in Karlsruhe. Jedenfalls das, was von dem Parteitag noch übrig geblieben ist. Ein Ringen um den Kurs der Partei in der Flüchtlingspolitik wird es nicht geben. Angela Merkels Kurs des „Wir schaffen das“ und zwar mit einem „freundlichen Gesicht“ wird beibehalten. Die wichtigsten Kritiker, Junge Union und Mittelstandsvereinigung, haben ihre Anträge auf dem Alter eines „Beschädigt-Mutti-nicht“-Kompromisses geopfert. Das politisch nicht korrekte Wort „Obergrenze“ kommt in der „Karlsruher Erklärung zu Terror und Sicherheit, Flucht und Integration“ nicht vor. Ein Punktsieg für die Parteivorsitzende.

Die meisten innerparteilichen Gegner einer grenzenlosen Willkommenskultur werden sich in der Diskussion nur noch verhalten äußern. Sie werden darauf verweisen, dass die CDU – jedenfalls auf dem Papier – „entschlossen ist“, den Zuzug von Flüchtlingen und Asylbewerbern „durch wirksame Maßnahmen spürbar zu verringern“. Das hätte die Kanzlerin Anfang September noch nicht unterschrieben.

Doch bleibt offen, wie diese Maßnahmen aussehen sollen – Betriebsgeheimnis der CDU. Es gibt derzeit einige alles andere überragende und überschattende politische Frage: Können und wollen wir den ungebremsten Zustrom von Menschen aus fremden Ländern in geordnete Bahnen lenken und begrenzen? Wie wollen wir diese Menschen mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen und Wertvorstellungen in diesem Land integrieren? Und wie gehen wir mit denen um, die allen Ernstes erwartet, die Deutschen hätten sich einfach an die Sitten und Gebräuche der Neuankömmlinge anzupassen? Dieser CDU-Parteitag wird diese Fragen nicht beantworten. Der Parteitag, der das hätte bewerkstelligen können und müssen, ist abgesagt worden – gestern Abend in einer Konsensrunde mit dem Namen CDU-Bundesvorstand. +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++

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